Gaza ist hierzulande überall präsent. Wofür sich niemand zu interessieren scheint, ist der
Sudan. In einem wirklich sehr eindrucksvollen Interview mit dem
Spiegel zeichnet
Nathaniel Raymond vom
Humanitarian Research Lab der Yale-Universität ein verheerendes Bild von der Situation in
Al-
Faschir, der Hauptstadt Nord-Darfurs, wo die islamistischen Milizen der Rapid Support Forces (RSF) mit der sudanesischen Armee (SAF) um die Macht ringen. "Der letzte Uno-Konvoi kam
Ende April nach Al-Faschir. Seitdem kam kein Nachschub mehr. Und schon vor Ausbruch der Kämpfe starben beispielsweise im Zamzam Camp mindestens ein Dutzend Kinder am Tag an Mangelernährung. Es gab schon vor den Kämpfen Wasserknappheit und Stromausfälle. Menschen aßen Erdnussschalen und Gräser." Was den Bewohnern bevorsteht, wenn die RSF gewinnen, weiß die Welt seit dem Massaker von Al-Dschunaina: "Es ging vor allem um das
Töten von Männern und Jungen. Aber auch von Frauen und Kindern. Es haben
großflächig Vergewaltigungen stattgefunden. In einem Fall banden die RSF-Kämpfer eine Gruppe lebender Kinder zusammen und erschossen sie alle. Sie türmten die Leichen der Stadt zu so großen Stapeln auf, dass wir sie
vom Weltraum aus, mit den Satelliten, die wir benutzen, sehen konnten."
"Sudan entwickelt sich zur
größten Hungerkatastrophe seit Jahrzehnten", entsetzt sich in der
SZ auch Arne Perras. "Mindestens sieben Millionen Menschen erleiden extremen Nahrungsmangel, das heißt: Sie können noch höchstens ein Drittel ihres Energiebedarfs decken." Regierungen oder die UN können dort wenig ausrichten, weil sie keinen Zugang zu der Region haben. Helfen könne man dennoch, meint Perras. "So wäre es schon von großem Nutzen, wenn
das Internet wieder auf breiter Fläche funktionierte, um Geld mobil anzuweisen. Außerdem gibt es gut organisierte
Hilfsnetzwerke an der Basis, die fantastische Arbeit leisten, soweit sie eben können. Es gilt, dieses Netz zu nutzen, wenn Hilfe in die Todeszonen gelangen soll."
Die Historikerin
Fania Oz-Salzberger, Tochter von Amos Oz und eine der Stimmen der gemäßigten Linken in Israel,
nimmt auf Twitter nochmal Stellung zur Entscheidung
Irlands,
Norwegens und
Spaniens, das Land Palästina ohne Vorbedingungen anzuerkennen: "Die Formulierung 'Die Hamas
vertritt nicht die Palästinenser' ist äußerst problematisch. Die Hamas ist tragischerweise immer noch die
offizielle Regierung von Gaza. Die Hamas und ihre zahlreichen Freunde, auch hier auf X, sonnen sich bereits in der
neuen Anerkennung. So wie die Dinge jetzt stehen, vertritt die Hamas Millionen von Palästinensern und es kann leicht geschehen, dass sie wiedergewählt wird, um das zukünftige freie Palästina zu regieren. Irland, Spanien und Norwegen haben zu diesem möglichen Szenario nichts zu sagen. Dieses Schweigen ist
eine enorme Belohnung für die Hamas."
Andrew Fox, ehemaliger britischer Offizier, der unter anderem in Afghanistan gedient hat,
behauptet in
Tablet, dass die
Israel Defense Forces (IDF) in Gaza ein strategisches Meisterstück abliefern - auch wenn es aus der Brille westlicher Länder nicht so aussieht. Aber die IDF wollten eben nicht den ganzen
Gaza-Streifen befrieden und wieder aufbauen. Es gehe vor allem, die
Hamas zu schwächen, wenn auch nicht komplett zu zerstören, denn dazu sei die Begeisterung der Gazaner für die Schlächter, die sie anführen, zu groß. Die wichtigsten Ziele der IDF seien es darum, die
Hamas-Infrastrukturen - vor allem die Tunnel - zu zerstören und ein ein Kilometer breites
Glacis hinter dem Grenzzaun zu schaffen. "Wenn es nach Israel geht, wird niemand in Gaza mehr in die Nähe der Grenze kommen. Ob sich Washington gegen diese Politik durchsetzen wird, bleibt jedoch abzuwarten, weshalb für Israel das wichtigste strategische Ziel in Gaza wohl darin besteht, die Internationalisierung des Streifens durch fantastische Pläne für 'den Tag danach' so weit wie möglich zu begrenzen."
Sehr kritisch sieht Alexander Haneke in der
FAZ die Anklage des Internationalen Strafgerichtshof gegen Israel, das von der Hamas
in Zwangslagen gebracht wird, die vom Chefankläger Karim Khan nicht mal benannt werden - denn dass die Hamas die
Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht, wird in der Klageschrift nicht erwähnt. "Es ist das
Kalkül der Hamas, Israel in einen Vernichtungskrieg zu zwingen. Israel hat kein Interesse an zivilen Opfern. Im Gegenteil, von den Toten und dem steigenden Druck auf Israel profitiert nur die Hamas. Und "was ist verhältnismäßig, wenn Israel einen weiteren 7. Oktober nur verhindern kann, indem es die Hamas in den
engen Gassen von Gaza vernichtet?"
Im
Interview mit der
NZZ kann der iranisch-österreichische
Autor Amir Gudarzi einfach nicht verstehen, dass so viele Menschen - und
vor allem Linke - hierzulande auf die Hamas-Propaganda hereinfallen und sie sogar übernehmen. Irritierend findet er es auch, dass sich diese Linke für Gräueltaten anderswo wenig interessiert: "Der Kampf der
Frauen in Iran ging an dieser Linken jahrelang spurlos vorbei. Heute hört man den iranischen Ruf 'Frau, Leben, Freiheit' im Westen kaum noch." Auch die
Uiguren in China interessieren die westliche Linke nicht. "Ich habe auch noch nie ein muslimisches Land gesehen, das als Protest die Beziehung zu China abbricht. Der Grund ist einfach: China ist zu groß, zu mächtig. Niemand traut sich da was zu machen. Die
Türkei ist auch ein gutes Beispiel. Sie ist eine Besatzungsmacht und
kolonialisiert gerade die kurdischen Gebiete in Syrien. Auch dagegen sehe ich - außer von den Kurden selbst - keine Proteste. Aber die Hamas hat Glück. Sie braucht gar keine Propaganda mehr zu machen: Die Demonstrierenden hier bei uns sind ihr Sprachrohr."