"Der 7. Oktober war kein Terroranschlag. Er war der Beginn eines neuen
globalen antisemitischen Krieges, in dem alle Jüdinnen und Juden sich angegriffen fühlen, weil sie alle angegriffen werden",
schreibt Esther Shapira in der
Jüdischen Allgemeinen. Zwar wurde Israel im Moment des Schocks nach dem 7. Oktober das "
Recht eines jeden Staates, sich gegen die Ermordung seiner Bürger zu wehren", aber dann hagelte es nur noch "Warnungen, Verurteilungen und Belehrungen" zuerkannt. "Das theoretische Recht beinhaltete offenbar nicht das Recht zur
praktischen Umsetzung desselben. Niemand nämlich weiß bis heute eine Antwort auf die Frage, wie Israel die militärische Fähigkeit der Hamas grundlegend so reduzieren kann, dass eine Wiederholung des 7. Oktober ausgeschlossen ist, ohne zugleich den Tod vieler Unschuldiger in Kauf zu nehmen."
Seit Israels großen Sieg im
Sechs-
Tage-
Krieg von 1967 sind wir Israelis "
hochnäsig" geworden, meint hingegen
Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, in der
SZ. Das rächte sich am 7. Oktober, der Israel völlig unvorbereitet traf, fährt er fort und fragt: "Wie kommen wir aus der Klemme heraus? Ich bin der Meinung, dass unsere Regierung nicht alles tut, was nötig ist, um den Krieg in Gaza zu beenden. Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu hat seine eigenen Probleme: Probleme mit der Justiz und
Probleme mit der Politik in Israel. Meinungsumfragen zufolge würde er Neuwahlen heute
haushoch verlieren. Aber er wurde für vier Jahre gewählt und hat keinen Anlass zurücktreten, es sei denn, seine Koalition zerfiele. Sie zerfällt aber nicht, weil sie heute aus allen extremistischen Parteien des Landes besteht, auch aus extrem rechten Parteien, die keine Alternative zu dieser Regierung haben."
Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass sich die Attacken auf Israel seit einiger Zeit mit
Attacken auf Deutschland verbinden, als wäre das Problem erst aus dem Weg zu räumen, wenn dieser
lästige Holocaust-Bezug weg wäre. Angefangen hatte das mit dem postkolonialen Historiker
Dirk Moses (erinnern wir uns an die
Debatte). Heute
sekundiert Charlotte Wiedemann in der
taz: "Deutschland ist auf die abschüssige Bahn eines
falsch verstandenen Exzeptionalismus geraten: Indem die Verantwortung für den Holocaust und die daraus folgenden außergewöhnlichen Verpflichtungen verengt wurden auf ein Bekenntnis zur
israelischen Staatsverfasstheit und Politik. Und indem wir anderen vorschreiben, wie sie zu Israel zu denken haben, wenn sie deutschen Boden betreten."
Wiedemann rät den Israelis friedlich mit den Hamas-Mördern in einer Einstaatenlösung à la Omri Boehm zu leben, der von
gegenseitiger Anerkennung geprägt sein werde. Genau das
leuchtet Ambros Waibel in einem weiteren
taz-Essay nicht ein. Wäre es nicht an der Zeit, fragt er, "die Internationale der Hamas-Nichterwähner:innen erklärte uns 'konkret und kohärent', wie sie sich eine Zukunft in der Region mit diesen Leuten in verantwortlicher Position denken? Soll der
7. Oktober der Nationalfeiertag eines Staats 'from the river to the sea' werden? Was wird man den Kindern zum Anlass der Party sagen? Heute feiern wir, dass Zivilisten abgeschlachtet, gedemütigt, missbraucht und entführt wurden?"
Er mache sich Sorgen, wie in
Deutschland mit den
Palästinensern umgegangen und die
Meinungsfreiheit eingeschränkt werde, sagt wiederum
Haaretz-Herausgeber
Gideon Levy im
Gespräch mit der
Berliner Zeitung: "Deutschland hat sich dafür entschieden, dass Freundschaft mit Israel bedeutet,
keine Kritik an Israel zuzulassen. Aber das ist keine gute Freundschaft."
Die Historikerin
Anne-Christin Klotz präsentiert auf Twitter ein rechtsextremes Flugblatt aus dem Jahr 1988, das klingt, als sei es von heutigen Postkolonialen verfasst: "Den Zionismus stoppen!"
In auffälliger Parallelität zum Raketen- und
Drohnenangriff auf Israel verschärft das iranische Regime seinen Rollback gegen
Frauen ohne Kopftuch,
schreibt Mina Khani in der
taz: "Der Staat propagiert seit Jahren und verstärkt seit der 'Frau-Leben-Freiheit'-Bewegung, die vor eineinhalb Jahren ihren Anfang nahm, eine angebliche Verbindung zwischen 'Zionismus' und dem Ungehorsam iranischer Frauen, die ihr Kopftuch ablegen. Im April letzten Jahres hatte etwa der bekannte Kleriker Masud Ali gesagt: '
Die Zionisten sind diejenigen, die gegen den Hidschab und das Familiensystem in Iran agieren'. Auch die Chefin der kulturellen Kommission des Stadtrats von Teheran warf der Protestbewegung vor, auf der Seite der 'Zionisten' zu stehen."