01.11.2004. Terezia Mora, Antje Ravic Strubel, Juli Zeh, Brigitte Kronauer und Irina Liebmann: Dies ist eindeutig der Herbst der deutschen Autorinnen! Es ist auch ein Herbst monumentaler Biografien und des Buchmessenschwerpunkts "Arabische Welt". Wir stellen wir Ihnen die interessantesten Neuerscheinungen des Literaturherbstes vor.
Dies ist eindeutig der
Herbst der deutschen Autorinnen! Terezia Mora, Antje Ravic Strubel, Juli Zeh, Brigitte Kronauer und Irina Liebmann sind die
Stars der Saison. Gott sei Dank sind sie alle zu alt, als dass ein neues Fräulein-Wunder ausgerufen werden könnte. Bei den
Sachbüchern dominieren dagegen die
Herren: Schiller, Hermann Josef Abs, Arthur Koestler, Friedrich der Große wurden
schwergewichtige Biografien gewidmet. Wir haben die Literaturbeilagen
ausgewertet und stellen Ihnen hier in den "Büchern der Saison" die
interessantesten Neuerscheinungen vor.
Viel Spaß beim Lesen!
Deutsche Literatur Durchweg hymnisch gelobt wird
Terezia Moras Romandebüt
"Alle Tage" (), das von einem Mann namens Abel erzählt, der vermutlich aus Jugoslawien in eine deutsche Stadt namens B. gerät und dort nicht heimisch wird. Ein Buch über "die
Liebe und die Liebe zur Sprache", verspricht die
Zeit. Die
taz rückt das Werk in die Nähe von "Berlin Alexanderplatz" und Uwe Johnsons "Jahrestagen", die
FAZ bewundert den
"funkelnden Witz", die
FR preist es als einen "der komplexesten und
schönsten deutschsprachigen Romane der jüngsten Zeit" und die
SZ feiert die gelungene Verbindung von "literarischer Moderne" und Gegenwartsbezug. Eine Leseprobe finden Sie
hier.
Kaum weniger begeistert fallen die Reaktionen auf
Antje Ravic Strubels Roman
"Tupolew 134" () aus. Die Autorin begibt sich zurück ins Jahr 1978 und erzählt die Geschichte einer
Flugzeugentführung mit Republikfluchtabsicht. Die
FAZ, die dem Roman den Aufmacher ihrer Buchmessenbeilage widmete, findet das Werk "faszinierend", die
FR bewundert das "perfekte innere Timing" der sehr komplexen Konstruktion und staunt, dass das alles auch noch
"irrwitzig spannend" ist. Nur die
Zeit lobt den Roman zwar als "subtil", kritisiert ihn aber auch als "überkomplex". Derselbe Rezensent, Ulrich Greiner, präferiert eindeutig
Juli Zehs neuen Roman
"Spieltrieb" (), dem er
"Witz und Verstand" bescheinigt. Aber auch sonst findet der zweite Roman der Autorin nach ihrem gefeierten Debüt "Adler und Engel" viel Anklang. Sie erzählt darin von zwei Schülern, die ihren Sportlehrer erpressen und macht daraus, urteilt die
FR eine "verdichtete
Reflexion philosophischer Fragen der Existenz, der Ethik, der Identität".
Sehr gelungene neue Werke haben nach Ansicht der Rezensenten auch die Fast-schon-Klassikerinnen
Brigitte Kronauer und
Irina Liebmann vorgelegt. Kronauers neuen Roman mit dem Nietzsche verdankten Titel
"Verlangen nach Musik und Gebirge" () feiert die
FAZ als "Geistesblitzkrieg", die
SZ lobt ihn als
"gefühlsklug". Erzählt wird von Liebeshändeln im Ostseebad Ostende.
Liebmanns "Die freien Frauen" () ist für die
Zeit das
bisher beste Buch der Autorin. Liebmann schickt darin eine verwirrte Frau erst durch Berlin, dann nach Kattowitz in Polen. Die
FR weiß allerdings nicht genau, ob sie die Vagheiten des Ganzen als
"Kunst des Ungefähren" preisen oder das manchmal "bloß Raunende" des Romans tadeln soll.
Unter den Herren der literarischen Schöpfung hat
Ralf Rothmann sehr viel Lob eingeheimst. Sein Ruhrgebiets-Adoleszenz-Roman
"Junges Licht" () wird wahlweise als
"Meisterstück" (
FR), als "menschlich und intelligent" (
Zeit) oder als "ingeniöses
Poem in Prosa" zur Lektüre dringend empfohlen. Uneingeschränkt positiv fielen die bisherigen Kritiken zu
Dieter Fortes Roman
"Auf der anderen Seite der Welt" () aus. Schauplatz ist ein
Lungensanatorium auf einer Nordseeinsel, und so kann der Vergleich mit dem "Zauberberg" nicht ausbleiben. Die
taz bescheinigt dem Werk, dass es aus der es umgebenden Gegenwartsliteratur "weit herausragt" und ein sehr überzeugendes Bild der fünfziger Jahre entwirft. Auch die
FAZ zeigt sich begeistert und findet "Auf der anderen Seite der Welt" so
radikal wie kunstvoll.
Gut besprochen wurden außerdem
John von Düffels "glänzend geschriebener"
(Zeit) Familienroman "Houwelandt" (), der um einen krankhaft rüstigen Patriarchen kreist.
Volker Brauns Erzählung
"Das unbesetzte Gebiet" (), der von wenigen Wochen
1945 im erzgebirgischen Schwarzenberg erzählt, als dort nach der Kapitulation weder Nazis noch Alliierte präsent waren.
Jan Koneffkes tragikomischer Familien- und Liebesroman
"Eine Liebe am Tiber" (), der in den sechziger Jahren in
Rom spielt.
Friedrich Christian Delius' "Mein Jahr als Mörder" () - ein Roman, der den "Gerechtigkeitsdrang" (taz) der
68er auf's Korn nimmt.
Internationale Belletristik Ein "erhellenderes, klügeres, vielschichtigeres Buch über Israel, über Familien und das, was Menschen zusammenhält und was sie trennt, kann man niemandem empfehlen", schreibt Felicitas von Lovenberg in der
FAZ über
Amos Oz' Roman
"Eine Geschichte von Liebe und Finsternis". () Ein "autobiografisches Meisterwerk" annonciert Martina Meister in der
FR. Zugleich das "persönlichste Buch" des Autors sekundiert Karl-Markus Gauß in der
SZ. Oz' autobiografischer Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" mit seinen 850 Seiten wird ganz gewiss als eines der Bücher der Saison - und darüber hinaus - in Erinnerung bleiben. Der Roman schildert das Leben im Israel der
frühen Nachkriegsjahre, die schönen aber auch die traumatischen Erfahrungen osteuropäischer Juden, die dem Holocaust knapp entronnen waren, aber auch den Selbstmord von Oz' Mutter. Tragik und Witz koexistieren in dem Buch. Genuss und Belehrung auch: Für Gauß war die Lektüre ein Rausch und zugleich ein "
Grundkurs in mitteleuropäischer und hebräischer Geschichte".
Roberto Bolano, der vielen als der bedeutendste lateinamerikanische Erzähler der Generation nach Garcia Marquez galt, ist im letzten Jahr im Alter von nur 50 Jahren gestorben. Hanser bringt in dieser Saison den Erzählungsband
"Telefongespräche" der die Rezensenten zu großer Wehmut hinriss. "
Grandios beiläufig zwischen Komik und Grauen" erzähle Bolano hier, schreibt Franz Haas in der
NZZ. Ihn beglückten sowohl die Rückblenden auf politische Ereignisse in Lateinamerika in den letzten Jahren, die Anspielungen auf den Literaturbetrieb und die
"desolate Schärfe" der Frauenporträts. Ähnlich Martin Krumbholz in der
Zeit, der "bei aller Tristesse" auch Hymnen auf die Freundschaft fand.
Manche Rezensionen klangen etwas lauwarm, aber einer der Rezensenten - Tobias Döring in der
FAZ - war doch so glaubhaft aus dem Häuschen, dass
Toni Morrisons neuer Roman
"Liebe" Eingang in diese strenge Auswahl fand. Döring fasziniert besonders die
kunstvolle Lückenhaftigkeit aus "Erinnertem, Verdrängtem und Geahnten", die mäandernde Bewegung, mit der das "kalt glühende Zentrum" dieses fragmentarischen Familienepos umkreist wird, ein Patriarch, der auch Jahre nach seinem Tod noch auf den Überlebenden lastet. Auch Susanne Messmer lobt in der
taz Morrisons "geschickte Enthüllungstaktiken und Spiegelungen".
Außerdem empfehlen wir
Chris Abanis Debütroman
"Graceland" die Geschichte eines
Elvis-Imitators im Moloch Lagos, von Paul Simon in der
Zeit als "grandioser
Beat-Roman" gelobt, Rafael Chirbes' Roman
"Alte Freunde" (), in dem mal wieder ein paar alte Freunde über
68 plauderen, "erzähltechnisch brillant laut Katharina Döbler in der
Zeit, aber auch dunkel und rau die
Franco-Zeit beschwörend, wie Maike Albath in der
NZZ schreibt, und
Guillermo Rosales' Kuba- und Exil-Geschichte
"Boarding Home" laut Paul Ingendaay in der
FAZ eine grenzenlos tragische Geschichte, ganz ohne Licht oder Erbauung, aber voller Schönheit.
Wiederentdeckungen Geradezu verliebt reagierten die Rezensenten auf
Stephen Vizinczeys 1966 erstmals im Original erschienenen Roman
"Wie ich lernte, die Frauen zu lieben" (). Es ist ein Roman über die
amouröse Sozialisation eines ungarischen Teenagers und zugleich eine Abrechnung mit den
Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. In der
FAZ rühmt der Kunsthistoriker Werner Spies die
erotische Dichte und Präzision des Buchs. Die
SZ findet den Roman "so erfrischend,
so lässig, so unterhaltend und
so fein", dass sie ihm noch einmal ein großes Publikum wünscht. Auch
Arno Widmann lobt das Buch in seiner Kolumne
"Vom Nachttisch geräumt" als "eines der lesbarsten, eines der
vergnüglichsten, eines der weisesten Bücher der Weltliteratur".
Noch ein ungarischer Klassiker wurde neu entdeckt:
Dezsö Kosztolanyis "Ein Held seiner Zeit" () von 1933. In achtzehn Episoden erzählt der Bohemien und Bürgerschreck Kornel Esti aus seinem Leben. "Deszö Kosztolanyi war
ein Genie, vielleicht auch
ein Gott", behauptet die
SZ vollkommen hingerissen. Sie würdigt auch die "
weißseidene, kaum sichtbar aufblitzende" Übersetzung Christina Viraghs. Die
NZZ rühmt Kosztolanyis
"Elegance über dem Abgrund". Die
FAZ ist tief beeindruckt, wie hier aus Worten Wirklichkeit wird. Und die
Zeit bewundert die
atmosphärische Beschwörungskraft des Autors. Mit Jubel aufgenommen wurde
Julian Ayestas 1952 erschienener Roman
"Helena oder das Meer des Sommers" () - der einzige Roman des spanischen Autors
(Leseprobe). "Es
funkelt. Es ist geschliffen, es ist rein", versichert die
Zeit. Und die
FAZ ist fasziniert von diesem "meisterlichen Porträt einer unwiderruflich verlorenen Epoche" und der
melancholiegetränkten Leichtigkeit, mit der sie beschrieben wird.
Literatur / Arabische Bücher / Erinnerungen, Biografien / politische Bücher / Sachbücher