Tilman Spreckelsen befasst sich für die FAZ mit dem "YoungAdult"-Trend, der den Publikumsverlagen gerade ansehnliche Umsätze beschert: "Dieses in mancher Hinsicht so seltsam konforme Genre ... setzt auf altbackensteBoy-meets-Girl-Geschichten, auf Sex und Gewalt, und warnt im selben Atemzug davor." Im SZ-Gespräch rät der Jugendbuchforscher FelixGiesa, der grassierenden Leseschwäche unter Kindern mit Kindercomics beizukommen. Alida Bremer schreibt im Freitag einen Nachruf auf PaulAuster (mehr zu dessen Tod bereits hier).
Besprochen werden unter anderem PaulMurrays "Der Stich der Biene" (Freitag), Uwe Wittstocks "Marseille 1940" über deutscheExil-Literatur (FR), neue Sachbücher (Freitag), PatrickOberholzers Sachcomic "Games" (SZ) sowie MurrayG. Halls und GeorgRenöckls "Welt in Wien" über die 100-jährige Geschichte des Paul Zsolnay Verlags (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Die Feuilletons trauern um PaulAuster. Seine in 50 Jahren entstandenen, beinahe 20 Romane boten zur Freude des Lebenspublikums und der Kritik "abenteuerliche, aber vertraute Situationen, Momente der Gefahr und Gewalt, Wendungen ins Absurde, gründliche Zweifel an der Zuverlässigkeit von Wahrnehmung, rätselhafte Identitäten, eine enge Bindung des Erzählten an die eigene Biografie - und am Ende doch die Gewissheit, dass es, allen Zufällen und wechselnden Lebensumständen zum Trotz, an Orientierung niemals fehlt", hält Thomas Steinfeld in der SZ fest. "In allen diesen Büchern ist es, als betrete man ein Haus, und im Flur hingen lauter Fotografien, die den Bewohner in den verschiedensten Situationen und Gestalten zeigen. ... Wenige Schriftsteller gibt es, die man nach der Lektüre von zwei, drei Büchern so gut zu kennen meint, wie es bei Paul Auster der Fall ist."
"Das Spiel mit Identitäten, die Welt als Spiegelkabinett der Möglichkeiten", so fasst Volker Weidermann in der Zeit Austers "Romanwelt" zusammen. "Er balanciert mit seinen Fiktionen stets am Rande der Realität, es ist, als baumele stets ein Arm oder Bein hinüber über die Grenze." Dass dabei der Zufall eine wichtige Rolle spielt, hat mit einem Erlebnis in Austers Jugend zu tun, erklärt Irene Binal in der NZZ: Damals wurde er Zeuge, wie ein Freund vom Blitz erschlagen wurde. "Diesem Mechanismus der Realität spürte er in seinem Werk nach. ... 'Die Vorstellung, dass Fiktion in die reale Welt schwappen kann und umgekehrt, fasziniert mich', meinte er. 'Wenn wir uns durch die dreidimensionale Welt bewegen, stellt sich unser Gehirn immer andere Möglichkeiten vor. Mich interessiert, was die Wirklichkeit ist, das Konkrete und das Substanzlose, das so genannte Reale und das so genannte Imaginierte.'"
Hannes Stein erinnert in der Welt an den durchschlagenden Erfolg, den Auster in den Achtzigern mit seiner "New-York-Trilogie" hatte: Die Kritikern feierten die Bücher "als Errungenschaft der postmodernenLiteratur, weil die Realität auf Schritt und Tritt knisterte wie brüchiges Eis und der Autor lauter Spiegel aufgestellt hatte, in den der Text sich quasi selber begegnete; außerdem kam in den Seiten ein Paul Auster vor, der mit dem Autor gewisse Wesensmerkmale teilte. Verwandtschaften mit Poe und Hawthorne wurden registriert, auch Bezüge zu Beckett und Miguel de Cervantes. Vielleicht könnte man es auch einfacher sagen: Die 'New-York-Trilogie' las sich streckenweise so, als sei Franz Kafka im Gehirn von Raymond Chandler wiedergeboren worden und habe sich den Jux erlaubt, eine Serie von Detektivromanen der hartgesottenen Sorte zu verfassen." Weitere Nachrufe schreiben Dirk Knipphals (taz), Judith von Sternburg (FR) und Andreas Platthaus (FAZ),
Weiteres: In der FAZgratuliert Jürgen Kaube dem SZ-Literaturkritiker ThomasSteinfeld zum 70. Geburtstag. Lothar Müller (SZ) und Tilman Spreckelsen (FAZ) schreiben Nachrufe auf den LiteraturwissenschaftlerPeterDemetz. Besprochen werden GabrielWolkenfelds "Wir Propagandisten" (Jungle World), VolkerBrauns Essayband "Fortwährender Versuch, mit Gewalten zu leben" (Standard), der Band "Der Nister: 'Von meinen Besitztümern'" mit jiddischenErzählungen (online nachgereicht von der FAZ) und KirstinWarnkes "Sei nicht so" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Das mächtige Rumoren im amerikanischen PENClub, bei dem eine offenbar unter dem Einfluss von BDS stehende Basis gegen den teils mit Zionisten besetzten Vorsitz rebelliert und auf jede diplomatische Handreichung mit noch schrilleren Rücktrittsforderungen reagiert (unser Resümee), hatte im deutschen Feuilleton bislang irritierend wenig Niederschlag gefunden. Hannes Stein bricht in der Welt das Eis - und sieht für die Schriftstellervereinigung nach jüngsten Entgleisungen kaum noch eine Zukunft. Ihre eigene "Charta verpflichtet den PEN-Club nur auf das Eintreten für die Meinungsfreiheit, dieses allerdings unbedingt; von anderen politischen Themen, für die sich der PEN-Club einsetzen soll, ist nicht die Rede, nicht vom Klimawandel, nicht vom Wohlfahrtsstaat, nicht von der Unterstützung der bzw. Gegnerschaft zur Nato. Und das kann auch nicht anders sein: Schriftsteller haben alle möglichen (und unmöglichen) politischen Haltungen, vom Anarchismus bis zum Ultrakonservatismus, die Meinungsfreiheit ist die einzige Geschäftsgrundlage, auf die sich im Zweifel die meisten einigen können. Wenn nun die Verurteilung Israels und der Rausschmiss ihrer jüdischen Vorstandsvorsitzenden wegen Verdachts auf Zionismus zur Geschäftsgrundlage werden soll, werden viele, vielleicht sogar die meisten Mitglieder des amerikanischen PEN-Clubs diesen verlassen."
Auf der Seite Drei der SZ erzählt Frank Nienhuysen von dem "unheimlichenBücherdiebstahl", der "sich durch Europa zieht, seit zwei Jahren": Diebe brechen in große, zuvor oft mit Agentenmethoden ausspionierte Bibliotheken ein, um OriginalausgabenrussischerWerke zu stehlen und teils durch Fälschungen zu ersetzen. Vor wenigen Tagen wurden die Diebe in Georgien gefasst, unklar ist aber die Motivation. Könnte es Patriotismus sein, der russische Kultur aus dem Westen nach Hause bringen will? "Einige der gestohlenen Bücher tauchten in Russland auf. Nach Angaben von Europol wurden sie über Auktionshäuser in Sankt Petersburg und Moskau verkauft. Eines davon für 30 500 Euro, wie der polnische Wissenschaftler Hieronim Grala, Professor an der betroffenen Universität Warschau, der Nachrichtenagentur AFP sagte. 'Mir ist klar, dass die gesamte Aktion zentral von Russland aus organisiert wurde', sagte er." Die Berliner Archivarin Aglaé Achechova ist überzeugt, dass die Diebe "Leute sind, die einfach viel Gewinn machen wollen".
Besprochen werden unter anderem ThomasKunst Gedichtband "Wü" (taz), GeorgeSaunders' Erzählband "Tag der Befreiung" (online nachgereicht von der Zeit), JaneGardams "Gute Ratschläge" (FR), ConstanceDebrés autobiografischer Roman "Love me Tender" (Intellectures), ThomasMedicus' "KlausMann. Ein Leben" (online nachgereicht von der Zeit, Welt), KettlyMars' "Kasalé" (FAZ) und eine Arte-Doku über ArtSpiegelmans Comicklassiker "Maus" (taz).
Volker Weidermann fragt sich auf Zeit Online, wie es eigentlich kommt, dass die SchriftstellerinJennyErpenbeck im englischsprachigen Ausland nicht nur ein Quasi-Abo auf Nominierungen für den International Booker Prize hat und als aussichtsreiche Kandidatin für einen Nobelpreis gilt (unser Resümee), während sie in Deutschland nur eine von vielen gut besprochenen Autorinnen ist. Ihr "Werk ist vielleicht ganz besonders tief in der ostdeutschen Welt verwurzelt, drei Generationen tief sozusagen. ... Ihre Eltern waren keine Dissidenten, gehörten zur geistigen Elite der DDR, die Großeltern hatten die Nazizeit im Moskauer Exil überlebt." Erpenbeck "lebt geradezu in dieser Tradition" und "dieses scheinbar bruchlose Anschließen an eine Tradition, die in der Großelterngeneration eine kommunistische war, führt in der Rezeption hierzulande zu Misstrauen. ... Erpenbeck erzählt von einer Rezension zu 'Kairos', in der ihr eine undifferenzierte Glorifizierung der Exilzeit deutscher Kommunisten unter Stalin vorgeworfen wird. Obwohl im Roman im folgenden Kapitel all die Abgründe, der Terror, die Morde, die Angst eindrucksvoll beschrieben werden. Es gibt, so darf man Jenny Erpenbeck verstehen, bis heute ein bewusstes Missverstehen ihrer Bücher in Deutschland."
Weitere Artikel: Magnus Klaue erinnert in der Jungle World an den deutschen Blick auf den jüdischen Humor von EphraimKishon, der in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre. In der Kafka-Reihe der SZ erzählt AlexanderKluge lose von seinen KI-Versuchen, Szenen aus KafkasNotizen zu einem nie geschriebenen Roman über NapoleonsRückmarsch zu illustrieren. In der Berliner Zeitungspricht der aus dem Iran stammende Poetry Slammer AidinHalimi über seine beschwerliche Integration in Deutschland.
Besprochen werden unter anderem MelanieMöllers "Der entmündigte Leser. Für die Freiheit der Literatur" (NZZ), Marie Jahodas Memoiren "Rekonstruktionen meiner Leben" (Standard) und StephanRoiss' "Lauter" (Standard).
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Jan Röhnert über ElsaAsenijeffs "Heilige Kräfte":
"Die Stellen, die uns heilig sind An unseres Leibes duftenden Gewalten, Sind zwei, die schön in ihrer Falten ..."
Uri Jitzchak Katz' Debütroman "Aus dem Nichts kommt die Flut" heißt im Original "Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte". PerlentaucherinAngela Schaderstellt diesen ungeheuer komplexen und amüsanten Roman, der Kafkas "Prager Kreis" mit der Geschichte Israels verflicht, in ihrem neuesten "Vorwort" vor: "Der Mann, der von einem Moment auf den andern mit der grimmigen Miene geschlagen wird, amtiert als leitender Direktor in der 'Staatlichen Fabrik für Bleistifte und Schreibwaren'. In seinem Vorzimmer sitzt als Sekretärin eine unglücklich verheiratete Frau namens Julia Sopček, als Adlat dient ihm ein strebsamer junger Mann namens Gugel; wer hier einen allgegenwärtigen vierfarbigen Schriftzug aufleuchten sieht, liegt nicht daneben. Der Direktor versucht im Lauf der Erzählung seine böse Fratze wieder loszuwerden, der noch peinlicher heimgesuchte Gugel ringt derweil mit seinem durch ein suspektes Mittagessen heftig aufgewühlten Magen-Darm-Trakt..."
Wie tief der Schock im Literaturbetrieb über das postum veröffentlichte Tagebuch aus den letzten Lebensjahren des Essayisten MichaelRutschky und über die darin festgehaltenen Abrechnungen und Denunziationen selbst engster Freunde und Vertrauter sitzt, wirdtazler Dirk Knipphals bei der Lektüre von RainaldGoetz' in der kommenden Ausgabe des Merkur veröffentlichten Lektüre-Journals noch einmal ganz besonders deutlich. Goetz, lange Zeit eng mit Rutschky befreundet, sieht sich von diesem falschverstanden und verraten. "Die Selbstentblößung, mit der Rutschky seine depressiven Momente ausstellt, und die brutalen Beobachtungen von Bekannten, die Rutschky notiert, beschreibt Goetz als fundamentalfalsch: 'Schonungslosigkeit ist kein Konzept der Wahrheit, und exzessive Explizität dem eigenen Triebleben gegenüber […] keine gute Methode, sich selbst und das Lebensschicksal, das einem zugelost war, richtig zu verstehen.' ... An einer Stelle überlegt Goetz, ob Rutschkys Tagebuch nicht als 'das essenzielle Dokument der Kaputtheit dieser Zeit, dieser Generation von 68, der gigantischen Enttäuschung durch das Altern, das Scheitern von Ambitionen' gelten müsse. #MeToo dagegen beschreibt er als 'schönste Diskursrevolution seit 68', verteidigt das 'Hysterische' im Kampf gegen das strukturelle Patriarchat - 'es geht nur so, eine leisere Sprache versteht die Macht nicht'."
Weitere Artikel: Für die FAS unterhält sich Airen mit der Soziologin AngélicaOspina-Escobar über die Rolle von Frauen in mexikanischen Drogenkartellen, ein Thema, zu dem sie auch gerade die Studie "Partners in Crime" veröffentlicht hat. Burkhard Müller erinnert in der SZ an KarlKraus, der vor 150 Jahren geboren wurde. In "Bilder und Zeiten" der FAZ wirft Leo Lensing einen Blick auf Karl Kraus' journalistisches Frühwerk, das sich archivarisch allmählich immer mehr erschließt. Und Ronald Pohl hat für den Standard eine Kraus-Ausstellung in Wien besucht. Für "Bilder und Zeiten" der FAZ unterhält sich Barbara von Machui mit der senegalesisch-französischen AutorinFatouDiome. Sylvia Staude spricht für die FR mit der Bestseller-AutorinValMcDermid. Achim Hölter ergründet für "Bilder und Zeiten" der FAZ das mitunter "möbelhafte Schweigen" oder auch die "Vielwissenheit der stummen Dinge", von denen HeimitovonDoderer in seinem Roman "Die Strudlhofstiege" schreibt. Jan Paersch spricht für die taz mit MarieVölkening, die als Literaturagentin und Instabook-Bloogerin tätig ist. In der FAZ gratuliert Thomas Sparr dem israelischen DichterJehudaAmichai, dessen Werk er bei Suhrkamp betreut, zum 80. Geburtstag.
Besprochen werden unter anderem Philipp Lenhards "Café Marx. Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zur Frankfurter Schule" (taz), KristinHöllers "Leute von früher" (taz), AbdulrazakGurnahs "Das versteinerte Herz" (SZ) und DenizOhdes "Ich stelle mich schlafend" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Manès Sperbers monumentaler Roman "Wie eine Träne im Ozean" wird endlich wieder veröffentlicht - und damit eines der wichtigsten und bis heute aktuellen Monumente antitotalitärer Literatur. Der Perlentaucher bringt vorab Rudolf IslersNachwort: "Die desillusionierenden Erfahrungen als kommunistischer Funktionär und als Parteimitglied ermöglichten es Sperber mit den Kenntnissen des Insiders die Geschichten von Parteidisziplin und Verrat, von Fehleinschätzungen und Machtkämpfen, von verordneten Menschenopfern und verfehltem Kampf gegen den Nationalsozialismus so zu erzählen, dass man selbst in die Realität der Zeit eintaucht und fast glaubt, im Untergrund der konspirativ agierenden KP Deutschlands dabei zu sein. Auch hier fließen Biografie, Geschichte und Fiktion ineinander."
"Während die Diskussionsgäste im russischen Staatsfernsehen regelmässig in Schnappatmung verfallen, wenn sie sich über das Canceln russischer Künstler im Westen echauffieren, verschwinden die besten Gegenwartsautoren aus den russischen Buchläden und Bibliotheken", hält Ulrich M. Schmid in der NZZ fest angesichts dessen, dass VladimirSorokins neuester Roman nach Druck einer konservativ-nationalistischen "Experten"kommission und des russischen Innenministeriums aus dem Verlagsprogramm genommen werden musste (unser Resümee). "Die russischen Polittechnologen sind mittlerweile zu Virtuosen der Gewalt geworden, die das Crescendo der Aggression meisterhaft beherrschen. So wurden prominente Schriftsteller nach ihrer Kritik an der Krim-Annexion auf grossen Plakaten im Stadtzentrum Moskaus als 'Verräter' gebrandmarkt. ... Noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine gab es auch physischeAngriffe. Ljudmila Ulitzkaja wurde mit grüner Farbe übergossen, Dmitri Bykow wurde Opfer eines Giftanschlags. Kein Autor von Rang und Namen lebt heute noch in Russland. Die Folgen für die russische Literatur sind verheerend."
Christiane Lutz erzählt in der SZ von ihrem Treffen mit BarbiMarković, die für ihren Roman "Minihorror" vor kurzem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde (unser Resümee). Der Episodenroman will die Angst nicht bändigen, erfährt sie von der Schriftstellerin. "Angst ist ein Muskel, den man trainieren muss." Am ehesten "'ist 'Minihorror' Angst-Entstigmatisierungs-Literatur, ein Plädoyer für die Angst, nicht als Krankheit, sondern als wesentlicher Bestandteil der menschlichen Psyche. 'Man geht fälschlich davon aus, dass ein Leben ohne Angst möglich ist. Oder dass der normale Zustand ein Zustand ohne Angst ist. Ich finde nicht. Ich will die Angst nicht verschwinden lassen, ich will sie nicht umarmen, ich will sie nur anschauen', sagt Marković. ... 'Wir kämpfen viel zu sehr gegen die Angst, statt zu akzeptieren, dass wir dauernd bedroht sind. Als Mensch ist man echt nicht unverwundbar.'"
Weitere Artikel: Tilman Spreckelsen berichtet in der FAZ von den Plänen der FrankfurterBuchmesse, dem auf ein junges Lesepublikum abzielendes, aber ökonomisch ziemlich starkes "NewAdult"-Marktsegment ein größeres Podium zu bieten. Judith von Sternburg berichtet in der FR von Streit hinter den Kulissen beim Online-KulturmagazinFaust. 2024 ist das Jahr der Comicausstellungen, freut sich Lars von Törne im Tagesspiegel. Besprochen werden unter anderem IngoSchulzes "Zu Gast im Westen: Aufzeichnungen aus dem Ruhrgebiet" (Freitag), Jean-PhilippeToussaints "Das Schachbrett" (Freitag) und StephanRoiss' "Lauter" (FR). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Gerrit Bartels spricht für den Tagesspiegel mit RonyaOthmann über deren aktuelles Buch, den Roman "Vierundsiebzig", der von den Massakern des IS an den Jesiden handelt. Dafür war die Schriftstellerin mit jesidischen Wurzeln mehrfach in die Region gereist. Klar war ihr: "Aus einem Genozid kann man keine runde Erzählung machen. Es gibt nur Trümmer. Man hat die Dokumente der Überlebenden, der Zeugen. Und dann die Bilder, die vom IS kamen. ... Die Verbrechen haben etwas Jenseitiges, das über alles Zivilisatorische hinausgeht: aufgespießte Köpfe auf Zäunen in Rakka, gekreuzigte Menschen, die Sklavenmärkte mit den jesidischen Frauen oder die Verbrennung des jordanischen Piloten. ... Weil sie so jenseitig sind, haben diese Verbrechen allein etwas Fiktives, obwohl man weiß, dass das nicht stimmt. Ich musste damit arbeiten. Ich konnte das nicht fiktional erzählen. ... Es ist ja ein Bericht, es ist ein Protokoll, ein Essay, eine Reiseerzählung. Ich bin immerwiedergescheitert. Es geht auch um die Sprache, den Rhythmus, Satzanfänge, ästhetische Fragen auch in so einem Buch. All das will montiert und arrangiert werden, das meine ich mit Fiktion, deswegen steht da Roman drauf."
Weitere Artikel: Thomas Hummitzsch spricht für die taz mit dem Theatermacher EvanTepest über dessen Debütroman "Schreib den Namen Deiner Mutter". Besprochen werden unter anderem TessaHadleys "Das Jahr der Veränderungen" (online nachgereicht von der FAZ), die große CD-Edition "Jahrhundertstimmen" mit zahlreichen literarischen Aufnahmen aus O-Ton-Archiven (Intellectures), VittorioAlfieris "Sonette" (FR), AleksandarHemons "Die Welt und alles, was sie enthält" (NZZ) und der von MarkusBernauer und JosefineKitzbichler herausgegebene Band "Freiheit, Gleichheit, Sinnlichkeit. Literatur des Libertinismus in Deutschland" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
PEN America announces the cancellation of its annual Literary Awards ceremony, and releases the names of its 2024 award finalists and winners: https://t.co/vAYX2tAUHH
PEN America lässt die Verleihungsfeier seines Literaturpreises ausfallen, nachdem annähernd die Hälfte der infrage kommenden Autoren und Übersetzer ihre Werke dafür abgezogen haben, berichtet Philipp Bovermann in der SZ. Sie werfen der Schriftstellervereinigung zu wenig Solidarität mit den Menschen in Gaza und eine zu israelfreundlicheHaltung vor. Die damit frei werdenden Finanzmittel gehen nun an den Palestine Children's Relief Fund. "'Wir haben großen Respekt davor, dass die Autoren ihrem Gewissen gefolgt sind', sagte RosazShariyf, die für den Wettbewerb verantwortlich ist." Doch "unter den derzeitigen Voraussetzungen sei es nicht möglich, eine Feier 'so durchzuführen, wie wir es uns erhofft hatten', ergänzte die PEN-America-Vorsitzende SuzanneNossel. Ihr Name fällt in einem Brief, den einige der Nominierten sowie weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller veröffentlicht haben. Sie fordern den Rücktritt Nossels und den von Präsidentin Jennifer Finney Boylan. Andere PEN-Zentren, etwa der englische und der irische, so heißt es in dem Schreiben, kritisierten deutlicher die Unterstützung Israels und die Lieferung von Waffen an dessen Militär." In der Berliner Zeitungbringt Susanne Lenz weitere Einzelheiten. Der russische Großverlag Eksmo-AST hat den aktuellen Roman "Das Erbe" des im Berliner Exil lebenden SchriftstellersVladimirSorokin aus dem Programm genommen (auch Bücher von MichaelCunningham und JamesBaldwin sind davon betroffen). Das Haus beugt sich damit dem Druck durch eine neue, in die russische Verlagsvereinigung "Russische Buchunion" integrierte, äußerst konservativ zusammengesetzte Kommission von "Experten", berichtet Kerstin Holm in der FAZ. Diese "prüfen, ob Buchpublikationen mit der russischen Gesetzgebung konform sind. Im Fall der Romane von Baldwin und Cunningham dürfte die Thematik von Homosexualität Anstoß erregt haben. Bei Sorokin, der in eine dystopische Zukunft Russlands versetzt, werden zudem Gewaltexzesse geschildert, auch an scheinbaren (freilich zwanzig Jahre alten) Kindern." Der Verlag habe um das Buch zwar gekämpft, sagt der Autor. "Doch ultranationalistischeOrganisationen wie die militante Kirchenbewegung 'Sorok sorokow' und die Verfolger kritischer Popmusiker von 'Ruf des Volkes' (Sow naroda), aber auch die den Ukrainefeldzug befürwortende Autorin Olga Uskowa hatten AST wegen des Romans denunziert."
Außerdem: Marc Reichwein kommentiert in der Welt die Nominiertenliste für den DeutschenSachbuchpreis2024. Besprochen werden unter anderem ElizabethPichs Comic "Fungirl" (NZZ), MareikeFallwickls "Und alle so still" (Standard), KristinHöllers "Leute von früher" (Zeit Online), TuviaTenenboms "Gott spricht Jiddisch. Mein Jahr unter Ultraorthodoxen" (taz) und JanKoneffkes "Im Schatten zweier Sommer" (FAZ).
Und Salman Rushdies vergnüglicher Auftritt in Jon Stewarts Daily Show:
Mal eben ein Schwätzchen mit Ishmael über Herausforderungen beim Walfang halten? Auf die Schnelle Tipps für eine Soirée beim großen Gatsby einholen? Oder den nächsten Survivalurlaub gemeinsam mit Robinson Crusoe planen? KI soll's wohl möglich machen, schreibt Adrian Lobe (online nachgereicht) in der NZZ über die Versprechungen, mit denen das Startup YouAI von sich reden macht. "In Zukunft, so die Vision, liest man Bücher nicht, sondern spricht mit ihnen." Dieses "Format könnte über die bloße Wiedergabe von Inhalten hinausgehen. So wäre es vorstellbar, über die Chatfunktion hinaus bezahlpflichtige Elemente auszuspielen: Leser, die ein Abo abschließen, könnten dem Helden der Geschichten Fragen stellen, die im Buch nicht beantwortet werden: Was ging dir in der Situation durch den Kopf? Liebst du sie wirklich? Dies könnte das Schreiben verändern: Der Autor müsste Cliffhanger einbauen oder ausreichend Material zurückbehalten. Das Buch wäre nicht mehr das Endprodukt, sondern lediglich ein 'Vorabdruck', eine vorläufige Version, die durch Dialoge und Reflexionen fortgeschrieben würde."
Benjamin Quaderer erzählt auf Zeit Online die Geschichte des Bergmanns und begeisterten Büchermenschen BrunoSchröder, der sich Zeit seines Lebens in seinem Einfamilienhaus gemeinsam mit seiner Ehefrau eine etwa 70.000 Bücher umfassende Privatbibliothek aufgebaut hat. Quasi einen ganzen Schrein hat er seinem Lieblingsautor ArnoSchmidt gewidmet, der ähnlich in Büchern einsiedelte wie er. "Schmidt hat seinen idealen Leser einmal als gebildetenHandwerker beschrieben. Ein Handwerker ist Bruno Schröder zwar nicht, aber er kommt diesem Ideal schon sehr nah. Es scheint fast, als wäre der eine für den anderen nicht nur der perfekte Autor, sondern der andere für den einen auch der perfekte Leser gewesen. Bruno Schröder hat Bargfeld weder besucht noch hat er versucht, in irgendeiner Form mit Arno Schmidt in Verbindung zu treten. Die Verbindung war auch ohne direkten Kontakt da."
Weitere Artikel: Für die Welt spricht Marie-Luise Goldmann mit der SchriftstellerinAndreaPalluch über die TV-Verfilmung des Romans "Hauke Haiens Tod", den sie gemeinsam mit ihrem Mann, Wirtschaftsminister Robert Habeck, geschrieben hat. Besprochen werden unter anderem PirkkoSaisios "Gegenlicht" (taz), GuillaumeApollinaires "Briefe an Lou" (NZZ), NatashaTretheweys "Memorial Drive" (SZ) und SusanSontags Essaysammlung "Über Frauen" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Die Welt bringt heute den zweiten Teil des Gesprächs, das Martin Scholz mit SalmanRushdie zur Veröffentlichung von "Knife" (heute auch in der NZZbesprochen) geführt hat. Auf eine Aussprache mit seinem Attentäter werde er sich nicht einlassen, erklärt der Schriftsteller: "Da würde ich nur ein Klischee antreffen." Wichtiger war es ihm, sich nach seiner ersten Genesung zum Gefängnis zu begeben, in dem der Attentäter einsitzt, und dort Fotos zu schießen, wobei Rushdies Frau ihn wohl vom Herumalbern zurückhalten musste. "Das Chautauqua County Jail ist ein schlichtes Gefängnis, ein Block mit einer Mauer drumherum samt Stacheldraht - nicht sonderlich beeindruckend. Ich dachte: 'Er ist da drinnen eingesperrt, während ich hier draußen bin und einen schönen Tag verbringe." Er empfand Genugtuung, "aber wohl auch Freude, amLebenzusein. Jedenfalls fingen meine Füße an zu tanzen, ohne dass ich sie dazu aufgefordert hatte." Künftig wolle er einfach sein "Leben leben. Im Juni werde ich 77. Ich weiß ohnehin nicht, wie viel mehr Jahre da noch kommen werden. Freunden gegenüber mache ich immer Witze, dass wir so langsam mal darüber nachzudenken sollten, wie ich meinen hundertstenGeburtstag feiern sollte. ... Es sollte schon eine Tanz-Party werden."
Weitere Artikel: Der SchriftstellerMichalHvoreckýerzählt im Standard von seiner Reise auf Kafkas Spuren in die Hohe Tatra. Außerdem verneigt sich der AutorHansPlatzgumer im Standard vor Kafka. Die ComiczeichnerinJosephineMarkgibt im Tagesspiegel-Fragebogen Einblick in ihre Arbeit. Der SchriftstellerChristophW. Bauergratuliert im Standard seinem KollegenRobertSchindel zum 80. Geburtstag. Im Literaturfeature für Dlf Kulturwirft Miriam Zeh einen Blick auf "die neue Solidarität am Buchmarkt".
Besprochen werden unter anderem Vigdis Hjorths "Ein falsches Wort" (FR), der Briefwechsel zwischen VirginiaWoolf und VitaSackville-West (NZZ), PercivalEveretts "James" (SZ) und neue Kinder- und Jugendbücher, darunter Christina Röckls "Bus" (FAZ). Mehr ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Urs Heftrich über IwanFrankos "Es liegt ein Dorf im Tale drin":
"Es liegt ein Dorf im Tale drin, Darüber schwebt der Nebel hin. Und beim Dorfe hoch am Hang ..."