Das Europa-Konzert der BerlinerPhilharmoniker in Georgien mit der Solistin LisaBatiashvili bewegte - insbesondere vor dem Hintergrund der Demonstrationen der jungen Generation im Land für Europa und gegen Russland - alle, die ihm beigewohnt haben, berichtet Sonja Zekri in der SZ. "Als Zugabe spielt Batiashvili gemeinsam mit den Philharmonikern die 'Miniaturen' des georgischen Komponisten Sulkhan Tsintsadzes, es sind leichtfüßige, von Volksliedern inspirierte Melodien, aber dabei ebenso wenig einfältig oder schlicht wie die ungarischen Passagen von Brahms Violinkonzert. Für Batiashvili ist es eine Verneigung, eine Liebeserklärung an ihre erste Heimat, und - gemeinsam mit den Philharmonikern vorgetragen - der Gipfel des Glücks. Dieses Europa-Konzert werde über Generationen bleiben, jene, die in Tsinandali dabei waren, werden Kindern und Enkeln davon erzählen, sagt sie später, so wie ihr Vater ihr einst vom Besuch des Cleveland Orchestra 1966 erzählte, damals, als Georgien noch sowjetisch war und der Kalte Krieg jeden Austausch verhinderte. So 'surreal' sich der Auftritt in den ersten aufgewühlten Momenten danach auch anfühlt, eines ist für sie sicher: Das Konzert mit den Philharmonikern werde das Schicksal des Landes verändern. 'Wir haben heute Geschichte geschrieben.'"
Zumindest einige Klassikhäuser haben die Pandemiekrise offenbar mehr als überwunden: Das Publikum ist zurück und übertrifft zahlenmäßig hier und dort sogar die Jahre vor Corona, informiert Hannah Schmidt in VAN: Demnach nähern sich bei 15 Orchestern die Zahlen dem Vorpandemie-Status wieder an, elf sprechen davon, diese Marke bereits gerissen zu haben - und fünf Häuser können sich gar über "historischguteVerkaufszahlen" freuen. Zurückzuführen ist der Erfolg einerseits auf "Phantomzuwachs" durch Social-Media-Aktivitäten während der Pandemie, aber auch auf eine Neuausrichtung der Kommunikation nach außen wie beim DeutschenSymphonieorchester: "Anders als sein Vorgänger stellte Orchestermanager Thomas Schmidt-Ott nicht die programmatische Dramaturgie an erste Stelle, sondern die Kommunikation und Distribution des Programms - ganz so, wie er es in seiner Vergangenheit im Marketing, vor allem in der Reisebranche, gelernt und weiterentwickelt hatte. Das Orchester versteht er als Wirtschaftsunternehmen, das mittels Neubranding und zielgruppenorientierter Kommunikation und Dramaturgie verschiedene Publika anziehen soll - zuletzt habe die 'feministische Musikpolitik' der vergangenen Saison eine ganze Reihe junger und jüngerer Hörer:innen angezogen: Kein Programm ohne das Werk einer Komponistin war die Devise - und die entsprechende Platzierung dieser Entscheidung in vielen verschiedenen Medien."
In einem Themenschwerpunkt widmet sich die FAZBeethovensNeunter, die vor 200 Jahren uraufgeführt wurde: Jan Brachmann führt durchs Festprogramm im Beethoven-Haus Bonn und anderswo. Gerald Felber hat sich mit dem Dirigenten AntonelloManacorda getroffen, der die Neunte eben neu hat einspielen lassen. Außerdem sprach Jan Brachmann mit der Beethoven-Forscherin BirgitLodes über das Begleitprogramm der Uraufführung.
Weitere Artikel: In seinem Blog auf Mediumdenkt Berthold Seliger ausführlich über einen Berliner Klavierabend von TamaraStefanovich nach. Benjamin Moldenhauer berichtet in der taz vom niederländischen Metalfestival Roadburn. Anna Schors durchstreift für VAN die Welt der Systemkritik in der Klassik. In der tazerinnert Robert Mießner an den 1987 verstorbenen JoséAfonso, der mit seinem dem Song "Grândola, Vila Morena" der Sound der Nelkenrevolution in Portugal vor 50 Jahren geprägt hat. Jan Wiele (FAZ) und Jakob Biazza (SZ) schreiben zum Tod des Gitarristen DuaneEddy. Für die SZ spricht Andrian Kreye mit KamasiWashington, der heute sein neues Album "Fearless Movement" veröffentlicht, unter anderem über SpiritualitätimJazz. Hier Washingtons Zusammenarbeit mit Andre3000:
Besprochen werden ein Konzert von GrigorySokolov (VAN), ein Auftritt von JohnZorn (Standard), ein Konzert der ukrainischen Band OkeanElzy in Berlin (taz) und das Debütalbum "Miniano" der Wiener Musikerin Rahel (taz).
Adrian Schräder porträtiert für die NZZ den House-Produzenten MathiasModica. Nadine A. Brügger blickt in der NZZ auf die Karriere des Musikers Nemo, der für die Schweiz zum Eurovision Song Contest fährt. Das Klassik-Printmagazin Fono Forum ist nach kurzer Pause wieder da, schreibt Jan Brachmann in der FAZ.
Besprochen werden neue Alben von LiamBailey (Presse) Phosphorescent (Standard) und Khruangbin (JungleWorld).
Am übernächsten Samstag, den 11. Mai, findet in Malmö der EurovisionSongContest statt - und die Sicherheitsvorkehrungen rund um die israelische Sängerin EdenGolan laufen auf Hochtouren, berichtet Jan Feddersen in der taz. Diese "soll ihr Hotelzimmer während ihrer Tage in Schweden nicht verlassen, allzu prekär sei die Situation. ... Eine Israelis willkommen heißende Stadt, eine, die die spezifische Bedrohtheit von Jüdinnen und Juden überhaupt ernst nimmt, gibt es in Schweden ohnehin keine, Malmö wäre die allerletzte, die für dieses Prädikat geeignet wäre. Offen ist auch, ob sich die israelische Delegation mit ihrer Sängerin an der Willkommensgala am kommenden Sonntag beteiligen wird: Allzu groß könnte nicht nur die Gefahr sein, dass Pro-Hamas-Demonstrationen für schlechteBilder sorgen, sondern, so sagen Menschen aus dem Umfeld jüdischer Organisationen, es könne kaum riskiert werden, dass Malmö zu einem Ort des Massakers wie München bei den Olympischen Sommerspielen 1972 wird."
Außerdem: Nick Joyce plaudert für den Tagesanzeiger mit den PetShopBoys. An Artemas' Hit "I Like The Way You Kiss Me" kommt auch TaylorSwift in den deutschen Single-Charts nicht vorbei, schreibt Nadine Lange im Tagesspiegel. Und Axel Brüggemann führt in BackstageClassical durch die Klassikwoche. Besprochen wird Jeremy Eichlers Buch "Das Echo der Zeit" über RichardStrauss, ArnoldSchönberg, DmitriSchostakowitsch sowie BenjaminBritten und die Musik während des ZweitenWeltkriegs (Welt).
In der Europahymne steckt zu viel Karajan, sagt der französische Musikwissenschaftler EstebanBuch in Backstage Classical - Karajan hatte Beethovens "Ode an die Freude" zu Hymnenzwecken ein bisschen umarrangiert. Buch fordert daher eine neue Version: Karajans "Verbindungen zum NS-Regime werden bei jedem erneuten Spielen der Hymne aufs Neue unter den Tisch gekehrt. Damit wird jede Aufführung der Karajan-Europahymne zur Fortsetzung des mangelhaften Umgangs mit dem Nazi-Erbe. ... Karajan war kein Mitläufer, der notgedrungen in die Partei eingetreten ist, sondern er hatte schon früh Sympathien für Hitlers Politik. Weil wir das heute wissen, ist es gerade für die europäische Identität wichtig, dass wir uns auch damit auseinandersetzen." Auf "Fearless Movement", dem neuen Album von KamasiWashington, dem "wohl heute aufregendste Saxofonisten seiner Generation", erlebtFAZ-Kritiker Peter Kemper "Jazz als vertrauensbildende Maßnahme, der nicht länger verschrecken, sondern inkludieren soll. Washington möchte seine Stücke nicht chaotisch klingen lassen, will vielmehr zeigen, wie man unterschiedliche Elemente - vom Hard Bop über die Fire Music der Sechziger, eleganten Soul, weichen Funk bis zu den Rap-Ekstasen der Gegenwart - so verbinden kann, dass eine untergründige Harmonie spürbar wird. ... Sein Saxophonton ist sämig und bewahrt bei aller Angriffslust in seinem Innern doch einen tröstlichen Schmelz." Meist "köchelt Washingtons Tenorsaxophon zunächst auf kleiner Flamme, bevor es sich mehr und mehr erhitzt, um alsbald in hymnischem Kreischen zu explodieren."
Weitere Artikel: Clemens Haustein spricht für die FAZ mit GidonKremer über dessen mit dem Orchester KremerataBaltica einspielten Album "Songs of Fate" mit Liedern aus Polen und Litauen. In der SZ spricht Alexander Menden mit AntonioPappano, der von Simon Rattle die Leitung der LondonerSymphoniker übernimmt. Karl Fluch fragt sich im Standard, wie hoch der Einflus von Mega-Stars wie Beyoncé oder TaylorSwift auf die US-Wahlen wirklich ist. Für die Pressearbeitet sich Wilhelm Sinkovicz durch BrucknersSinfonien. Für den Tagesanzeigerplaudert Torsten Gross mit Eddie Vedder von PearlJam. In der FAZgratuliert Gerald Felber dem Dirigenten Maasaki Suzuki zum 70. Geburtstag.
Besprochen werden ein Konzert der Pianisten Lucas und ArthurJussen in Zürich (NZZ) und das neue Album der US-Musikerin St. Vincent (Standard), die Jakob Biazza in der SZ porträtiert.
In der BerlinerClubszene verhärten sich die Fronten im Zuge des Hamas-Massakers vom 7. Oktober immer weiter, schreibt Jan Stremmel in einer SZ-Reportage. Israelische Veranstalter und DJs bekommen die kalte Schulter gezeigt, wenn sie nicht angefeindet werden. Viele verstummen. "Das AboutBlank, ein erklärtermaßen antikapitalistischer, feministischer Technoclub in Ostberlin, galt jahrelang als Safe Space für die LGBTQ-Szene. Seit der Laden sich aber 2021, nach Angriffen auf deutsche Synagogen, öffentlich gegen jede Form des Antisemitismus ausgesprochen hat, wird er von queerfeministischenKollektivenangefeindet und boykottiert. Inzwischen kommt es sogar zu physischenAngriffen. Anlässlich des Holocaust-Gedenktags Ende Januar lud das Blank zur Vorführung eines Dokumentarfilms über das Massaker auf dem Nova-Festival. In den Tagen danach warfen Unbekannte Pappbecher voller Exkremente auf das Grundstück und schmierten 'Intifada' an die Hauswand. Anfang April sprühte jemand das roteDreieck über den Eingang, mit dem die Hamas in Propagandavideos israelische Truppen markiert. ... Immer öfter würden DJs vorab kontaktiert und unter Druck gesetzt. So erreichten die Gegner, dass sich kaum noch Künstler oder Institutionen trauten, öffentlich Stellung gegen Antisemitismus zu beziehen."
Weitere Artikel: Markus Stäbler fordert in der NZZ eine Aufarbeitung des Instrumentenklaus durch die Nationalsozialisten. Die Schweizer Popband Yello, nie um ein Avantgarde-Statement verlegen, geht im aktuellen Vinyl-Hype und (ökonomisch allerdings kaum bemerkbaren) Tape-Revival noch einen Schritt weiter, schreibt Moritz Marthaler im Tagesanzeiger, und verkauft jetzt eine eigene Tonbandgerät-Edition (limitiert auf zehn Exemplare, zu je 13.500 Euro) und Tonband-Ausgaben ihrer Alben (im mittleren dreistelligen Bereich). Im NZZ-Gespräch schwärmtJustinSullivan von NewModelArmy von seiner Nahtoderfahrung, die er 1992 auf einer Schweizer Bühne erlebte ("verdammtbrillant"). Frederik Hanssen freut sich im Tagesspiegel auf ein Berliner Gedenkkonzert zu Ehren von BorisPergamenschikow. Der Tagesanzeigergratuliert mit einer Bilderstrecke dem Fotografen UeliFrey zu 50 Jahren Konzertfotografie.
Besprochen werden MonikaHempels Biografie über KlausNomi (taz), GothamChopras auf Disney+ gezeigte Dokuserie über BonJovi (FAZ) und das neue Album von St. Vincent (Zeit Online).
Heute erscheint "Nonetheless", das neue Album der PetShopBoys - und die Musikkritiker sind schier aus dem Häuschen, dass mit "The Schlager Hit Parade" (in dem auch noch von "Burenwurst" und "Sauerkraut" die Rede ist) ein sehr deutsches Phänomen der Popkultur aufgerufen wird. "Das Lied ist nicht ihr bestes", räumt Karl Fluch im Standard zwar ein, "aber selbst in diesem exzentrischenKleinod stellen sie ihr Gefühl für Melodien unter Beweis, gepaart mit einer Hymnenhaftigkeit, die stets eine Schicht Pathos aufträgt. Gerade so viel, dass es dem Publikum einfährt, aber nicht zu kitschig wird. Dazu verwenden sie in allen zehn Songs ein Orchester, das eine verhaltene Opulenz garantiert."
Im von David Steinitz geführten SZ-Gespräch mit der Band erfahren wir denn auch, dass es sich bei der englischen Band um intime Kenner deutscher Tristesse handelt: "Diese Schlager-Shows im Fernsehen haben wir uns wirklich oft angeschaut", verrät Sänger Neil Tennant. "Wenn etwas als unmodischoderuncool gilt, dann interessiert es uns. ... Wir kennen auch Die Flippers und die meisten anderen deutschen Schlagerbands. Das ist doch interessant, wenn so eine Art von Musik über so viele Jahre zu einem solchen Phänomen wird. Dann will man mal reinhören." Auf Zeit Online schwärmt Jochen Overbeck vom Track "New London Boy", der von Tennants Erfahrungen als Frischling im schwulen London der Siebziger handelt: "So formvollendet wie in diesem Song bespielte Tennant lange nicht mehr den Transitraum zwischen großer Welt und eigener Geschichte. Wobei beides verwischt, ganz so als versuche er seine Träume mit Wasserfarben nachzumalen." Die FAS hat Lukas Heinsers Besprechung online nachgereicht. Beide erwähnten Songs gibt es noch nicht auf Youtube, aber dafür dieses Musikvideo:
Die Musikbranche hat allen "Grund zur nacktenPanik", schreibt Ane Hebeisen im Tages-Anzeiger, nachdem er sich eingehend mit der musikgenerierendenKI-Software "Suno" befasst hat, die in ihrer aktuellen Version "alles infrage stellt, was wir bisher über das Schaffen von Musik wussten". Selbst relativ komplizierte Promptings führen zu durchaus brauchbaren Ergebnissen, staunt der Musikredakteur: Bossanova mit Tiefgang, selbst ein ausgespucktes "Country-Liedchen klingt lockerer und netter als alles, was sich Beyoncé auf ihrem Hit-Album hat zusammenproduzieren lassen. ... In der Musikszene fühlten sich ja bisher jene vor der KI in Sicherheit, die glaubten, sie täten etwas ganz Besonderes. Die Meinung war, dass primär jene bedroht sind, die dem phrasenhaftenPop frönen. Alles Unsinn. Wir geben ein: 'Krautrock mit afrikanischer Perkussion in Wolof'. Und ja. Suno kann auch das. Keine Ahnung, wie gut sein Wolof ist, aber es streut sogar ein Ohrwurm-Thema auf einem Instrument ein, das wie eine Kalimba klingt."
Außerdem: Juliane Streich spricht für die taz mit Michał Tomaszewski über dessen Blaskapelle BandaComunale, die mit Konzerten der rechten Hegemonie in der sächsischen Provinz entgegen treten will. Katrin Nussmayer lobt in der Presse die "durchaus erleseneSprache", die TaylorSwift auf ihrem aktuellen Album (mehr dazu hier) an den Tag legt. Jakob Biazza erzählt in der SZ von seiner Begegnung mit dem Sänger Emilio Sakraya.
Besprochen werden ein Bob-Dylan-Abend von CatPower in Frankfurt (FR), MarryWatersons und AdrianCrowleys gemeinsames Folk-Album "Cuckoo Storm" (FR) und PeterGülkes Sachbuch "Von geschriebenen Noten zu klingenden Tönen" (FAZ).
Diedrich Diederichsen klatscht in der taz aufgeregt in die Hände: Das den interessanteren Milieus der NDW entstammende Duo Die Partei hat mit "Celaviemachinery" nach nur 43 Jahren sein zweites Album veröffentlicht. "Gleiten, FlutschenundIneinandergreifen werden dem Tanzen vorgezogen. In eine Klanglichkeit gekleidet, die tatsächlich, gerade weil sie an eine Vergangenheit erinnert, die sie für ihre Zukunft hielt, von keiner Epoche eindeutig vereinnahmt werden kann. Manches wirkt so süßlich, dass man sich unwillkürlich einen Schlager ausdenkt, den Nino de Angelo dazu hätte singen können, anderes klingt so elegant, als wollte hier jemand den französischen Spielzeug-Synthie-Pop eines Jacno neu erfinden, und dann wogt es so spacig, dass daskosmische-kuriere-verrücktegermanophileAusland heftig getriggert werden dürfte. Und immer wieder denkt man an die spezifische bundesdeutsche, provinziell existenzialistische Tristesse, wie sie eigentlich immer nur einsame 'Tatort'-Kommissare befällt, wenn ihre inneren Widersprüche und der ungelöste Fall sich vor der Kulisse einer nassen Mittelstadtnacht miteinander verheddern."
Außerdem: Merle Krafeld blickt für die VAN auf die Ergebnisse der Studie "Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt an der Hochschule für Musik und Theater München". Oliver Camenzind erzählt in der NZZ von seinem Besuch in MichaelSenns Musikinstrumenten-Werkstatt.
Besprochen werden die Disco-Compilation "Sam Records: The Sound of New York City 1975-1983" (Standard), ein Berliner Konzert des ensembleunitedberlin mit Werken von SamirOdeh-Tamimi und JakobUllmann (VAN), ein Konzert von Khanate in Berlin (taz), ein Liederabend mit SamuelHasselhorn (FR) und das neue Album der Pet Shop Boys, das Welt-Kritiker Oliver Polak "wieder als Teenager in den Achtzigern aufgebretzelt, frisch geduscht, haarspraygetuned in weiten Diesel-Jeans und Thrasher-Hoodie am Rand der Fahrbahn des Autoscooters stehen lässt".
Die Gerüchteküche brodelt schon länger: Wird JoanaMallwitz 2026 auf VladimirJurowski nachfolgen und das Orchester der BayerischenStaatsoper leiten? Jetzt hat sie im Haus Mozart und Tschaikowsky dirigiert - und SZ-Kritiker Reinhard J. Brembeck berichtet von respektvollen, aber moderaten Reaktionen des ansonsten auch mal aufbrausenden Münchner Publikums. "Mallwitz wie die Musiker sind technisch ausnehmend versiert, es scheint nichts zu geben, was sie und das Orchester nicht können. Nun ist Technik in der Musik zwar hilfreich, aber eben nicht die Essenz. ... Mallwitz ist fernvonExzess, Grenzensprengerei, Pathologie. Sie begreift klassische Musik an diesem Abend als ein Kommunikationsmittel, das sich möglichst wenig über die Grenzen des bürgerlichen Anstands hinausbewegen soll, dort drohen nämlich Haltlosigkeit, Aufstand, Wahnsinn. Musizieren aber ist ein Grenzgang zwischen den Polen Irrsinn und Kontrolle. Mallwitz plädiert an diesem Abend ein bisschen zu sehr für Kontrolle, das könnte die relative Zurückhaltung des Publikums erklären."
Anlässlich des "Tags gegen Lärm" denkt Helmut Mauró über das Verhältnis zwischen schiererLaustärke und Wohlklang nach. Im klassischen Konzert- und Opernsaal ist das mitunter eine Frage der Perspektive, also des Sitzplatzes: So "empfinden zumindest Wagnerianer es als äußerst angenehm, Orchesterlautstärken mit mehrals120Dezibel beizuwohnen. Das entspricht einem startenden Düsenjet in 100 Meter Entfernung. ... Die EU-Richtlinie von 85 dB Maximalbelastung am Arbeitsplatz, die auch für Musiker gilt, ist im Orchestergraben kaum durchsetzbar. Aber sie hat zu Verbesserungen geführt. Die Streicher etwa, die vor den Bläserbatterien sitzen, haben ein Schallschutzschild aus Plexiglas bekommen."
Weitere Artikel: Im taz-Gespräch erklärtDiffus-Chefredakteur Torben Hodan, warum sein Online-Musikmagazin nun den Schritt zur Printpublikation wagt: Dort sollen vor allem "lange, zeitlose Texte" rein, "eine Art Coffee Table Book, in dem wir gute Geschichten erzählen wollen". Ane Hebeisen plaudert für den Tagesanzeiger mit SvenRegener. Frederik Hanssen blickt im Tagesspiegel auf die kommende Saison der BerlinerPhilharmoniker.
Besprochen werden ein Auftritt von IgorLevit in Frankfurt (FR), LauraJaneGraces neues Album "Hole In My Head" (FR) und neue Pop- und Rockveröffentlichungen, darunter T Bone Burnetts "The Other Side" (Standard).
Axel Brüggemann, dem schon in der Vergangenheit einige wertvolle Recherchen zu verdanken waren, setzt sein neues Online-Magazin BackstageClassical mit einer neuen Recherche auf die Karte: Bei den Hamburger Salons des insbesondere in den Achtzigern berühmten Pianisten JustusFrantz heben Rechts- wie Linkspopulisten samt Putintreue gemeinsam das Glas. Fotos davon teilt Frantz freimütig auf Social Media, Brüggemann hat genau hingesehen, wer da mit wem im Zeichen von Kunst und Kultur am Klönen und Netzwerken ist. "Was viele der Anwesenden verbindet ist ihre Sympathie für Russland und VladimirPutin und ihre Kritik an der aktuellen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ist das die neue Normalität der deutschen Bürgerlichkeit? ... Zwischen Rechtspopulist RogerKöppel und Linkspopulistin SahraWagenknecht sitzt Alexander von Bismarck." Der Großneffe Otto Bismarcks "war Gast beim Geheimteffen zur 'Remigration' in Potsdam mit dem rechtsradikalen Zahnarzt Gernot Mörig in der Villa Adlon und steht damit der Identitären Bewegung nahe." In der Mitte des Bildes sitzt Kulturmanager Hans-JoachimFrey, dessen "Netzwerk heute Wirtschaftsführer und AfD-Bundestagsabgeordnete vereint. ... Inzwischen hat er sich ganz für eine Karriere in Russland entschieden. 2021 nahm er die russische Staatsbürgerschaft an und leitet heute das Konzerthaus in Putins Ferienressort Sotschi."
Weitere Artikel: Die Ästhetik des SpiritualJazz feiert in jüngsten Jahren ein erstaunliches Comeback, beobachtet Ljubiša Tošić im Standard, so dass ihm scheint: "In spirituell angehauchten Jazz verschmelzen Sinn- und Gottsuche abseits der etablierten Weltreligionen mit der Absicht, die eigene Identität auch durch Entdeckung afrikanischerWurzeln zu finden." Corina Kolbe porträtiert in der NZZ das JewishChamberOrchestraMunich. Jean-Martin Büttner geht in der NZZ der auch über 30 Jahre nach seinem Tod anhaltenden Faszinationskraft von FreddieMercury nach. Nicholas Potter stimmt in der taz auf die Deutschlandtour der Berliner Punkband ZSK ein. Taylor-Swift-Fans feiern ihren Star als "Business-Genie", berichtet Mathis Raabe in der taz. Für Zeit Online porträtiert Tobias Lentzler den Entertainer BerndBegemann, der einst die "Hamburger Schule" gegründet hat, und sich nun nach neun Jahren Albumpause mit "Milieu" zurückmeldet.
Besprochen werden das neue Album von SbabazzPalaces ("jenseits von jedem und radikal eigensinnig", schwärmt Benjamin Moldenhauer im ND), ein Konzert des BayerischenSymphonieorchesters unter SimonRattle in Frankfurt (FR), Konzerte des KyivSymphonyOrchestra in Berlin (SZ) und das neue Album "Ghosted II" des Experimenta-Trios OrenAmbarchi,JohanBerthling und AndreasWerliin (tazlerin Luise Wolf gibt sich der "flimmerndenWeite" darauf hin).
In der FAZ spricht Gina Thomas mit Sir Antonio Pappano, der nach mehr als zwanzig Jahren an der Londoner Covent-Garden-Opera im Herbst die Nachfolge von SimonRattle beim London Symphony Orchestra antritt. Auch darauf, dass sich die englische Kulturpolitik wohl darauf eingeschossen hat, in London künftig nur noch ein Opernhaus zu finanzieren, kommt er zu sprechen. In einem Gutachten wurde unter anderem kritisiert, dass die Londoner Opernwelt zu wenig gegenwärtig sei. Daraus sprächen "die engstirnigen Mittdreißiger mit selbstgerechtem Gewissen", kommentiert Pappano. "Nehmen wir Bach, der 1750 starb. Sollten wir ihn marginalisieren, bloß weil er alt und bekannt ist? Das ist Unfug. Die Menschheit besteht aus Generationen, die teilhaben müssen am Glanz vergangener Zeiten. Junge Menschen haben einen riesigen Vorteil, weil die Einkaufsliste für Kunst und Musik aller Arten von Klassik zu Pop gigantisch ist. 'Bohème' oder 'Rigoletto' zum ersten Mal zu sehen ist ein grandioses Erlebnis. Diese Werke sind nicht ohne Grund berühmt." Und mit Blick auf die englische Kulturpolitik: "In diesem kulturellen Mekka kommt es einem vor, dass vorzügliche Leistung bestraft wird."
Elmar Krekeler sorgt sich im Welt-Kommentar nach dem Herrenberg-Urteil (das Musikhochschulen dazu verpflichtet, "bisherige Honorarkräfte (die bis zu 70 Prozent aller Unterrichtsstunden bestreiten) sozialversichert anzustellen") um die Zukunft des Musikstandorts Deutschland. Da sich die Kommunen eher schwer damit tun, ihre zur Verfügung gestellten Mittel dem Urteil gemäß adäquat aufzustocken, werde wohl eher eine ausgedünntePersonaldecke die Folge sein. "Damit würden - wenn von den Kulturverantwortlichen auf allen Ebenen nicht ganz schnell über neue Strukturen nachgedacht wird - alleverlieren: Das Lehrpersonal, das seinen Lebensunterhalt verliert, die Schüler, die mit einem ausgedünnten Angebot auskommen müssen. Und das in einer Zeit, in der Musikunterricht auch an allgemeinbildenden Schulen zunehmend bedroht ist. Die vom Ausland bewunderte (Schein-)Idylle wird die deutsche Musiklandschaft so nicht lange bleiben."
Weitere Artikel: In der Pressesinniert Wilhelm Sinkovicz über Bruckners Verhältnis zu Gott. Jan Brachmann schreibt in der FAZ zum Tod des Dirigenten SirAndrew Davis. Christoph Dieckmann schreibt auf Zeit Online einen Nachruf auf DickeyBetts von den AllmanBrothers. Tye Maurice Thomas erinnert im Tagesspiegel an den indischen Musiker KamaleshMaitra, der deißig Jahre lang in Berlin lebte und vor hundert Jahren geboren wurde. Und im FAZ-Bücherpodcast plaudert Dietmar Dath über sein Buch über MileyCyrus.
Besprochen werden die postum veröffentlichten Vorlesungen des Poptheoretikers Mark Fisher (Jungle World) und das neue Album von Taylor Swift (Welt, mehr dazu bereits hier).