04.07.2023. Nicht was Ahmad Mansour denkt, ist wichtig, sondern was ihn "überhaupt dazu qualifiziert". Es ist ein Muster linker Rufmordkampagnen, die Qualifikation von Diskursgegnern in Zweifel zu ziehen, statt sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen. Und prominente BDS-Lobbyisten ließen sich gerne dafür einspannen. Eine Twitter-Debatte über den Experten, und ob er einer ist, wirft ein deprimierendes Licht auf den Zustand von Öffentlichkeit heute.
Monatelang hat er über
Ahmad Mansour recherchiert,
schreibt James Jackson auf Twitter. Das
Ergebnis seiner Nachforschungen präsentiert der freie Journalist in einem britischen Magazin namens
Hyphen, einem Medium, das sich seiner Selbstaussage nach dem Dialog mit der muslimischen Welt widmet.
Der Artikel folgt dem üblichen Muster linker Rufmordkampagnen: Man stellt die
akademische Reputation von Diskursgegnern in Frage, deren Argumente man unmöglich machen will. So verfuhr schon Bourdieu mit André Glucksmann. So lief es 2006 gegen Necla Kelek, als Mark Terkessides und andere "Migrationsforscher" in einem "offenen Brief" in der
Zeit Necla Keleks Qualifikation in Frage stellten, um sich nicht mit ihren Befunden über Zwangsverheiratungen zu befassen.
Die Ergebnisse von Jacksons Recherche sind dürftig, werden aber mit charakteristischer Bösartigkeit ausgebreitet. Jackson findet keinen Beleg dafür, dass Mansour wie behauptet an der Uni Tel Aviv studiert hat. Da Mansour auf seine entsprechende Frage nicht antwortete, macht er einfach
Mansours Schweigen zum Argument.
Jackson hat auch bei der Humboldt-Uni keine Auskunft bekommen, ob Mansour dort abgeschlossen hat und legt es gleich wieder als Argument gegen Mansour aus - so dass Mansour sich gezwungen sieht, sein Diplom auf Twitter zu
posten. Danach wird's geradezu justiziabel: Jackson
stellt die
Echtheit von Mansours HU-Diplom in Frage: Das Datum der auf dem Dokument angegebenen Prüfungsordnung sei suspekt. Screenshot:
Danach überstürzen sich die Ereignisse. Der
Spiegel-Redakteur Hannes Schrader
erhält von der Humboldt-Uni die Bestätigung, dass
Mansours Diplom echt ist. Jackson
zieht seinen Tweet ohne Entschuldigung zurück.
Jackson ist für seine Forschungen sogar nach Israel gereist (vielleicht war er ja auch nur zufällig da), spaziert in den Vierteln von Mansours Kindheit herum, besucht die Moschee, über die Mansour in seinen Erinnerungen schreibt, und findet keine Belege für eine
islamistische Stimmung an diesen Orten. Ist das ein Beleg dafür, dass Mansour seine Erinnerungen gefälscht hat? Oder ist Jackson nur nicht in Mansours Haut aufgewachsen?
Ausführlich berichtet Jackson seinem entsetzten britischen Publikum dann von
BDS-kritischen Positionen in Deutschland - es gehe bis dahin, dass der Organisation Antisemitismus vorgeworfen wird! - und erregt sich dann, dass Mansour bei der
Deutschen Welle, wo Jackson wohl ein Praktikum gemacht oder volontiert hat, als Experte eingesetzt wurde, um antisemitische Äußerungen arabischer
Deutsche-Welle-Journalisten zu überprüfen. Man erinnert sich: die
Süddeutsche Zeitung und
Vice legten 2021 zahlreiche Belege für antisemitische Äußerungen von
DW-Journalisten vor (unsere Resümees
hier und
hier) - ein Beispiel: "Ein Trainer der
DW-Akademie, der in Beirut journalistische Workshops gibt, twitterte neben vielen anderen fragwürdigen Dingen 'Der
Holocaust ist eine Lüge #FreedomOfSpeech'. Und auf den Tweet einer bekannten libanesischen Sängerin während einer Eskalation in Gaza, dass es kein Israel gebe, sondern nur ein '
IsraHELL', antwortet er: 'All meinen Respekt'." Der
Welt-Redakteur Lennart Pfahler
legt in einem sehr lesensweerten Twitter-Thread zu Jacksons Artikel viele weitere drastische Zitate vor, die Mansour zu überprüfen hatte.
Mansour überprüfte die Äußerungen im Auftrag des
DW-Intendanten Peter Limbourg zusammen mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und kam zu dem Ergebnis, dass antisemitische Äußerungen
antisemitische Äußerungen sind, und dass es verwunderlich ist, wenn Journalisten eines deutschen Staatsssenders sich so äußern. Sieben Leute wurden gefeuert. Jackson macht es zum Argument, dass einige erfolgreich gegen ihre Kündigungen klagten: Aber spricht das gegen Mansour oder gegen die Rechtsabteilung der
Deutschen Welle?
Die mangelnde Konsistenz seines Artikels kompensiert Jackson mit flankierenden Äußerungen üblicher Verdächtiger. Unter anderem zitiert Jackson
Stephan Detjen, Chefkorrespondent des
Deutschlandfunks: "Ahmad Mansour ist eine viel beachtete Stimme, weil er die
Rolle eines Kronzeugen erfüllt, der sich auch in die Parteipolitik einmischt. Man kann ihn zitieren. Er ist ausdrücklich kritisch gegenüber Muslimen." Andere Kronzeugen Jacksons sind
Moshe Zuckermann und
Emily Dische-Becker, die Mitarbeiter der Documenta schulte, wie mit Fragen über Antisemitismus umzugehen sei, was aber auch nicht viel nützte. Es sind also die BDS-Lobbyisten des "
Weltoffen"-
Aufrufs, die hier Mansour als Experten für die "Tagesschau" unmöglich machen wollen. Es sollen sich nur die äußern, die in ihrem Sinne "differenziert" sind und dafür den Adelstitel des Expertentums verdienen. Wer sich aber anders äußert, ist "rechts", wie Dische-Becker Jackson in Jacksons Artikel bestätigt.
Die Sache wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn sie nicht im Kleinen den
Zustand der Debatte heute offenbarte. Das Deprimierende ist nicht der Artikel, sondern dass jemand wie
Reinhard Bingener, Koautor des großartigen Buchs über Gerhard Schröders "Moskau-Connection" (mehr
hier) ihn begeistert und völlig distanzlos aufgreift. Bingener ist Redakteur der
FAZ.
Die sozialen Medien seien schuld an der Polarisierung, heißt es ja heute immer wieder, ja, aber es sind bestallte Journalisten wie Bingener, die auf Twitter ihr Cachet nutzen, wenn es ihnen ideologisch in den Kram passt. Bingener hat Theologie studiert. Sein Affekt gegen Mansour mag aus einer Antipathie gegen dessen
religionskritische Äußerungen kommen
Bingener hatte hatte sich über Mansour
erregt, nachdem dieser in der "Tagesschau" über die
französischen Jugendkrawalle gesprochen hatte.
"1) Was qualifiziert Mansour grundsätzlich zum Experten? Er ist Aktivist mit Geschäftsmodell. 2) Woher hat er plötzlich auch noch Frankreich- und Krawall-Expertise? 3) Wie kommt's zur Buchwerbung rechts oben? "
Wieder das gleiche Muster heutiger Debatten: Es geht gleich ad personam. Argumente können nichts wert sein, wenn der Status nicht stimmt. Nicht, was
sagt er, sondern "was
qualifiziert ihn zum Experten".
Auf die Frage eines Twitter-Users, ob das gleiche nicht für Luisa Neubauer gelte,
antwortet Bingener: sie äußere sich ja als Aktivistin. Wenn Neubauer sich als Aktivistin äußert ist das also kein Problem, aber wenn Mansour sich als Aktivist äußert, dann ja?
Als sich Mansour in einem Tweet meldet,
erläutert Bingener was er unter "Expertentum" versteht: "Man kann offen über Probleme im Islam sprechen,
nur bitte nicht pauschal oder essenzialistisch."
Und was genau macht Bingener zum Experten, um festzustellen, dass sich Mansour "pauschal oder essenzialistisch" äußert? Sein Theologie-Studium kann es nicht sein, Theologie ist keine Wissenschaft.
Jedenfalls "wäre ein Experte für Frankreich mein Wunsch gewesen",
sagt Bingener.
Und hätten ihm die Aussagen eines "Experten für Frankreich" nicht gepasst, wäre ihm dann ein Experte für Jugendliche mit Migrationshintergrund lieber gewesen?
Das völlig Abstruse an diesem Gekabbel ist übrigens, dass Mansour in dem "Tagesschau"-
Ausschnitt, der Bingener zu seiner Pauschalattacke hinriss, genau das leistet, was er von ihm verlangt:
Mansour differenziert. Er kritisiert das brutale Vorgehen der
französischen Polizei, die sich weigert, das Gespräch mit den Jugendlichen zu suchen. Als Experte und Psychologe kennt er sich aus: So ein Gespräch kann nützlich sein.
Als Jackson dann seine schlechte Recherche bei Twitter postet, ist Bingener erleichtert und
dekretiert: "Diese Recherche wirft Fragen auf. Es wäre hilfreich, wenn sich @AhmadMansour__an der Beantwortung der genannten Punkte beteiligt". Und Mansour sieht sich gezwungen, sein Humboldt-Uni-Diplom zu posten.
Um Inhalte geht es in heutigen Debatten jedenfalls nicht.
Thierry Chervel