Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2024

Wir checken es noch nicht, aber es ist so geil

17.05.2024. Die FAZ ist stinksauer auf Juliane Liebert und Ronya Othmann, die peinliche Jury-Interna weitergegeben haben. In der SZ erinnert Nele Pollatschek die beiden: Wir sind alle Nutznießer von Identitätspolitik. In der FR sieht der Kunstwissenschaftler Harald Kimpel schon "die nächste Kasseler Krise" bei der documenta 16 aufziehen.Die Welt lässt sich in Dortmund mit Freuden in einen achronologischen Wagner-Kosmos entführen. Was Frausein am Theater bedeutet, überlegt die FR, die SZ fragt sich, ob das Alter bei Theaterintendantinnen eine wichtigere Rolle spielt als bei ihren männlichen Kollegen.

Die Iris ist eine Maske

16.05.2024. In der Zeit berichten Ronya Othmann und Juliane Liebert von den Bizarrerien, die sich vergangenes Jahr hinter den Kulissen des Internationalen Literaturpreises des HKW Berlin abspielten: Kann man heute noch damit leben, privilegierte weiße Autoren auszuzeichnen, wurde diskutiert. Ebenfalls in der Zeit will Milo Rau eine Neugründung der Demokratie erreichen. Die Welt staunt, wie kraftvoll Georg Baselitz in London mit dem Rollator Walzer auf der Leinwand tanzt. Die FAZ blickt in Kassel in die Zyklopenaugen der Ulla Wiggen. Und die Filmkritiker fragen sich mit Nuri Bilge Ceylan: Warum sind Menschen Monster?

Schrumpfform bürgerlicher Kultur

15.05.2024. Die Feuilletons trauern um Alice Munro. Eine kühne Offenheit der Form macht die NZZ in ihrer Literatur aus. Im Cannes-Eröffnungsfilm durchbrechen Léa Seydoux und Louis Garrel derweil die vierte Wand, weiß die FAZ zu berichten. Die unternimmt auch einen Streifzug durch die russische Kunstszene und verweilt bei einer Schau in Moskau, die  jüdisch-ukrainische Kunst zeigt. Elfriede Jelinek wandelt auch beim Thema Klimawandel nicht auf ausgetretenen Denkpfaden, freut sich die SZ bei einem Theaterbesuch in Stuttgart. Auch der Jazz-Saxofonist David Sanborn ist gestorben: Die SZ erinnert an die kühnen Wallungen seines Spiels.

Nicht mehr als ein Feigenblatt

14.05.2024. Der im Iran zu Haft und Peitschenhieben verurteilte Filmemacher Mohammed Rasoulof ist aus seiner Heimat geflohen und befindet sich in Europa: auf Instagram teilt er seinen bitteren Abschied plus Kampfansage. Bald beginnt das Filmfestival in Cannes: Man bereitet sich auf MeToo-Proteste im großen Stil vor, meldet die taz. Die FAZ findet es einfach nur abscheulich, wie viel Hass der israelischen Sängerin Eden Golan beim ESC vom Saalpublikum entgegenschlug. Und die FAZ muss bei Jan van Eycks Rolin-Madonna im Louvre ganz genau hinschauen und entdeckt Virtuoses.

Die lautesten, aber nicht die meisten

13.05.2024. Der ESC ist zu Ende: Nemo gewinnt für die Schweiz als erste nichtbinäre Person - die israelische Sängerin Eden Golan belegt den fünften Platz, steht aber in der Publikumswertung fast ganz oben - immerhin eine kleine Entschädigung, meint die taz. Die Filmkritiker verabschieden sich von Roger Corman, der den wichtigsten Akteuren von New Hollywood Starthilfe gab, als sie noch "mittellose Kinoträumer" waren, wie die SZ erinnert. Die SZ entdeckt auch das versteckte Highlight der Venedig-Biennale: Christoph Büchels "bankrottes Pfandhaus" in der Fondazione Prada.

Mit einem kleinen Knall

11.05.2024. Keine Party nirgends. taz, FAZ und NZZ berichten fassungslos vom Eurovision Song Contest, bei dem erstmals eine Teilnehmerin, die israelische Sängerin Eden Golan, in einem Hochsicherheitskonvoi durch eine hasserfüllte Menge zu ihrem Auftritt eskortiert werden muss. Die NZZ hat die Nase voll vom uniformen Realismus der Autofiktion. Die SZ amüsiert sich am Berliner Ensemble über den Witz, mit dem "Spielerfrauen" dampfende Steinzeit-Männlichkeit vorführen. Die FAZ betrachtet im Münchner Lenbachhaus angeregt Cao Feis immersive Städte der Zukunft.

Als Kulturzombie reanimiert

10.05.2024. Von den hasenherzigen Reformversuchen bei der Documenta sind die Zeitungen allesamt nicht überzeugt: Ein Code of Conduct, der für die künstlerische Leitung gar nicht gilt, dürfte wenig Effekt haben. Das Bataclan-Attentat hat ein weiteres Todesopfer gefordert: Der Zeichner Fred Dewilde, der zu den Überlebenden gehörte, hat sich das Leben genommen, melden die Zeitungen. Von den anti-israelischen Protesten beim ESC berichtet Spiegel Online. Recht anstrengend finden SZ und nachtkritik Nuran David Calis' Dramatisierung eines Özdamar-Romans in Köln. Alle trauern um den Produzenten Steve Albini.

Ehrenloses Wettsaufen

08.05.2024. Die FAZ besucht eine dreiteilige Ausstellung zu Bauhaus und Nationalsozialismus, auf der der regressiven, esoterischen Schlagseite der Kunstschule nachgespürt wird. Die NZZ schaut erschüttert auf einen Film Sheryl Sandbergs, der die Vergewaltigungen der Hamas vom 7. Oktober aufarbeitet. Roberto Saviano prangert in einer Bühnenperformance die Sexualmoral der Mafia an, berichtet die FAZ. Außerdem kriecht sie in einer Ausstellung in Wien in Friederike Mayröckers Zettelhöhle. Oskar Roehlers Film "Bad Director" betört die FR mit gekonntem Schmierentheater.

Die einzigen Helden, die es noch gibt

07.05.2024. SZ und Tagesspiegel tauchen bei einer Mike Kelley-Schau in Düsseldorf ab ins Unbewusste der amerikanischen Gesellschaft. Die FAZ trifft den ukrainischen Künstler und linken Aktivisten David Chichkan, der das Bild der Linken in der Ukraine zurechtrücken will. France Culture würdigt den Fernsehmoderator Bernard Pivot - den französischen Reich-Ranicki. Die NZZ feiert den 200. Geburtstag von Beethovens Neunter. Die Zeit trifft den Rapper Nemo, der die Schweiz beim ESC vertritt und alle ziemlich umhaut.

Hipster, Jiver, Cool Cats

06.05.2024. Die Feuilletons trauern um Frank Stella: Er startete beim Kleinstmöglichen und endete in der "buntestmöglichen Explosion des Gemäldes im Raum", erinnert die SZ. Die Welt wird völlig umgehauen von David Haddas bereits in Cannes ausgezeichneter ARD-Serie "Die Zweiflers". Die NZZ entdeckt Wu Tsangs "Carmen" in Zürich als Tanztheater - die Nachtkritik sieht dabei sogar dreifach. Die Welt verabschiedet sich wehmütig von Doc-Martens und der Subkultur.

Zu sehen, wie eine Welt sich anfühlt

04.05.2024. Der Deutsche Filmpreis wurde verliehen: Der Hauptpreis ging an Matthias Glasners "Sterben", die "beste Regie" an Ayşe Polat für "Im toten Winkel". Der Tagesspiegel kann mit dieser Entscheidung gut leben. Zeit Online ist erleichtert, dass die Preisverleihung diesmal ohne Eklat stattfand. Siri Hustvedt macht ihrer Wut auf Instagram Luft: kaum war ihr Ehemann Paul Auster tot, wusste es schon das ganze Netz - die SZ pflichtet ihr bei. Ulrich Rasches "Nathan der Weise" in Berlin gibt sich nicht mit einer oberflächlichen Botschaft der Harmonie zufrieden, loben Tagesspiegel und SZ.

Menschen sehen uns an

03.05.2024. Lars Henrik Gass erklärt in der NZZ, warum er Antisemitismus auf seinen  Oberhausener Kurzfilmtagen nicht zulässt. "Ariadne auf Naxos" am Nationaltheater ist den Besuch in Mannheim unbedingt wert, befindet die FR. Das ND stellt fest, dass Neuerungen in der Oper gelingen können - zumindest, wenn sie von Kirill Serebrennikov kommen. Die FAZ lässt sich von den Fotografien Alice Springs' begeistern. Die Publikumszahlen in Klassikhäusern steigen nach Corona wieder, hat VAN herausgefunden. Die FAZ bleibt bei Young-Adult-Literatur skeptisch.

Autofiktion, puh

02.05.2024. Paul Auster ist tot, die Feuilletons trauern. Die SZ evoziert noch einmal die persönlichen Panoramen des Schriftstellers, die Zeit erinnert sich daran, wie Auster einen Arm über die Grenze zwischen Realem und Fiktivem baumeln lässt. Das Berliner Theatertreffen startet derweil mit hohen Erwartungen; die FAZ freut sich auf die vielseitigste Ausgabe seit langem. Der rumänische Regisseur Radu Jude ist von Autofiktion genervt, berichtet er der taz. Ein Elfriede-Jelinek-Stück an den Kammerspielen lädt laut Zeit dazu ein, sich in Liegestühlen zu verheddern.