Im Kino

Absolutes Kinoverbot

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
01.05.2024. David M. Leitch verwirklicht mit "The Fall Guy", der Kinofassung von "Ein Colt für alle Fälle" offensichtlich ein Herzensprojekt. Was als Hommage an das Stuntgewerbe als ein proletarisches Fundament Hollywoods angelegt ist, versandet leider tendenziell im Blockbuster-Einerlei.

He's just - nein, nicht Ken, sondern Colt Seavers. Ryan Gosling, Hollywoods momentan angesagtester Protein-Beefcake, spielt die Titelrolle im seit vielen, vielen Jahren angekündigten Kino-Remake des Vorabendserienklassikers "Ein Colt für alle Fälle", das zumindest in Deutschland in Ermangelung des deutschen Serientitels (auf englisch heißen Serie und Remake identisch) kaum als solches zu erkennen ist. Was vermarktungstechnisch einigermaßen verwundert: Für Leute, die wie ich mit dem westdeutschen Fernsehen der Achtziger aufgewachsen sind (und keine Eltern mit den damals üblichen Vorbehalten - Amerikanisierung, Gewaltdarstellung, seichte Unterhaltung, etc. - hatten), war "Ein Colt für alle Fälle" durchaus ein generationsbildender Moment, der bis heute (insbesondere beim Vorspannsong) für wohlige, wenn auch diffuse Erinnerungen sorgt (wobei man wahrscheinlich gut beraten ist, diese Wohligkeit vor einer Wiederbegegnung mit dem Quellmaterial zu schützen). An den hemdsärmelig-proletarischen Humor der Serie erinnere ich mich noch aus eigenen Stücken, den Rest meiner westdeutschen Medien-Kindheit erzählt mir Wikipedia: "Colt Seavers lebt in Los Angeles und ist hauptberuflich Stuntman. Da er ausschließlich von dieser Tätigkeit nicht leben kann, arbeitet er nebenbei als Kopfgeldjäger für ein Unternehmen, das Kautionen für Angeklagte stellt, und fängt gegen Prämie diese wieder ein, sollten sie nicht zu ihren Gerichtsterminen erscheinen."

Von dieser Prämisse ist im Kinofilm "The Fall Guy" freilich fast nichts mehr übrig, außer dass ein Stuntman namens Colt Seavers unter widrigen Umständen in juristisch relevante Turbulenzen gerät: Nachdem der Hauptdarsteller eines (einerseits unschwer erkennbar als Persiflage von "Dune", aber auch als Hommage an Hal Needhams "MegaForce" angelegten) Science-Fiction-Blockbusters namens "Metalstorm" während der Dreharbeiten verschwindet, soll dessen Double Colt Seavers ihn wieder aufstöbern. Im Verlauf der Suche verheddert Colt sich in ein Intrigengeflecht, unter anderem wird ihm ein Mord angehängt.

Nicht nur, dass das Drehbuch seinen Seavers (vielleicht auch im Zuge Goslings "Barbie"-Rolle als Ken) als sanften Trottel mit Liebeskummer anlegt (dass die verflossene Liebschaft die von Emily Blunt gespielte Regisseurin von "Metalstorm" ist, macht es nicht leichter), entfernt den Film vom historischen Ausgangsmaterial. Auch der Tonfall ist ein anderer: Der Kino-Seavers bricht sich zu Beginn bei einem äußerst missglückten (vom Film aber in einem atemberaubend komplexen Plansequenz ziemlich geglückt inszenierten) Stunt den Rücken und entpuppt sich auch im weiteren Verlauf immer wieder als einer, den das Schicksal eher in die Welt wirft, als dass er es in die eigenen Hände nimmt. 


Stuntmen sind die Proletarier der Filmbranche, wie zuletzt auch Quentin Tarantinos sehr schöner "Once Upon a Time in Hollywood" in Erinnerung rief: Zur Anonymität verdammt und selten wirklich gut bezahlt, tragen sie als Tagelöhner buchstäblich ihre Körper zu Kreuze, um Schauspieler, Regie und Film strahlen zu lassen. Auf dem roten Teppich interessiert sich niemand mehr für die Blessuren, die Stuntmen im Privaten auskurieren. Insbesondere im ersten Viertel des Films setzt "The Fall Guy" entsprechende Noten und Spitzen. Keine Überraschung, denn Regisseur David M. Leitch war früher selbst Stuntman und Stunt-Koordinator, bevor er sich 2014 mit "John Wick" aufs Regiehandwerk verlegte. "The Fall Guy" dürfte ihm eine Herzensangelegenheit gewesen sein. So erklärt sich vielleicht auch, dass der Film insbesondere mit seinem Motiv des körperlich schwer ramponierten Stuntman und im Showdown des Films mit einem offensichtlichen Stunt-Zitat einen anderen Stuntman-Film der Filmgeschichte zu hommagieren versucht: Hal Needhams großartigen "Hooper" von 1978 mit Burt Reynolds. Was insofern passt, als Needham sich wie Leitch vom Stunt-Gewerbe auf den Regiestuhl hochgearbeitet hatte (während Tarantino sich von der Dynamik zwischen Needham und Reynolds, dessen Double Needham früher war, zu "Once Upon a Time in Hollywood" inspirieren ließ).

Als Herzensangelegenheit ist der Film jedoch sonderbar durchwachsen, vielleicht auch, weil zu viele Interessen zu unterschiedlicher Leute mit MItspracherecht abzudecken waren: "The Fall Guy" fällt von einem abgehakten Bullet Point zum nächsten und ist sich nie ganz schlüssig, was er nun eigentlich sein will. Spoof? Hommage? Und wenn ja: an was und wen? Actioncomedy mit Liebesfilm? Liebesfilm mit Comedyaction? Hollywood-Satire? Actionknaller? Paranoia-Thriller? Gosling-Vehikel? Farce? Meisterlich inszeniertes Filetstück (die bereits erwähntes Plansequenz zu Beginn)? Oder doch eher egales Rumgehopse? Meta-Quatsch? Am liebsten von allem etwas, aber nichts so richtig - und dazu bitte noch cooles Popcorn-Kino mit Retro-Hardrock-Soundtrack zum Gute-Laune-Mitwippen im Kinosaal. Hatte Kiss' "I Was Made For Loving You" gerade eben erst einen schönen, weil akzentuierenden Auftritt in Adam Wingards herzigem Quatsch-Blockbuster "Godzilla × Kong: The New Empire", wird der Song in "The Fall Guy" dermaßen konsequent zu Tode geritten und immer wieder sinnlos in den Film gestellt, dass man ihm für mindestens zehn Jahre absolutes Kinoverbot aussprechen möchte.

Als Steinbruch von einem Film, dessen Showdown sich passenderweise in einer Joe-D'Amato-Gedächtnis-Sandgrube abspielt, wirft der Film immerhin ein paar amüsante, für Youtube-Snacks geeignete Momente ab (Gosling etwa schiebt mitten im Paranoia-Actionthriller-Plot drogeninduzierte Hallus - Stichwort: "Da steht ein Pferd auf dem Flur"), nervt aber kolossal mit breit ausgewalzten Meta-Klugscheißereien, die als Gag im ersten Moment okay sind, aber den Moment für den Absprung verpassen. So etwa, wenn Seavers und Moreno als zerstrittene Ex-Geliebte ihre Screwball-Diskussionen am Set übers Megafon vor versammelter Mannschaft ausfechten und zwar codiert als vermeintliche Diskussionen über emotionale Dynamiken und Konstellationen des gerade im Dreh befindlichen Science-Fiction-Blödbusters. Oder wenn ein Telefondialog darüber entbrennt, ob Splitscreen wohl eine geeignete Methode für "Metalstorm" sei - und dann auch "The Fall Guy" die beiden im Splitscreen zeigt und dabei diverse Endlos-Faxen aufführt, als gelte es, Splitscreen-Meister Brian de Palma per Hommage totzuschlagen.

Was das alles mit "Ein Colt für alle Fälle" zu tun hat, liegt im Dunkeln. In Zeiten, in denen das Kino im festen Griff von "Intellectual Property"-Logiken und Franchise-Ausschlachtungen darbt, könnte das fast schon wieder erfrischend sein (Spoiler: ist es nicht). Die Fans bekommen immerhin mit einem GMC Sierra Grande das ikonische Auto der Serie zu Gesicht. Der liebgewonnene Titelsong von einst ertönt erst im Abspann, leider Gottes in einer Lahmarsch-Version (dazu gibt es - wiederum eine Hommage an Hal Needhams Filme - Impressionen von den Dreharbeiten). Und Lee Majors, der einst Colt Seavers spielte? Gibt in einer In-between-Credits-Sequenz einen alten Cop, der wen verhaftet, aber leider nicht den ganzen Film.

Thomas Groh

The Fall Guy - USA 2024 - Regie: David M. Leitch - Darsteller: Ryan Gosling, Emily Blunt, Aaron Taylor-Johnson, Hannah Waddingham, Teresa Palmer, Stephanie Hsu - Laufzeit: 126 Minuten.