Magazinrundschau
Von Birke zu Tanne
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
08.12.2020. Die London Review lernt von Fernand Braudel am Beispiel der globalisierten Welt der Renaissance, wie sich Kultur ausbreitet. Intercept verfolgt die Cyberpolizei in Kaschmir. Die New York Times lernt die rhizomatischen Verbindungen der Bäume kennen. Respekt würdigt den großen Antonin Liehm. In Radar erzählt der Philosoph Ricardo Forster, wie ein Streit um Diego Maradona ums Haar einen Benjamin-Kongress sprengte. In Daily Beast überlegt Steven Soderbergh, wie sich die Filmhäuser als Repertoire-Kino neu erfinden könnte. Republik warnt vor der fundamentalistischen Internationale der Evangelikalen.
London Review of Books (UK), 07.12.2020
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Republik (Schweiz), 04.12.2020
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Sehr im Trend ist Zement - allerdings mit negativen Schlagzeilen. 4 bis 7 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen gehen auf das Konto von Zement, schreibt Norbert Raabe. Das ist weit mehr als etwa der viel häufiger gescholtene Luftverkehr, der bei knapp 3 Prozent verbucht wird. Raabe untersucht in einer angenehm unideologischen und informationsreichen Reportage, wie sich die Schweizer und internationale Zementindustrie auf dies ungeheure Problem einstellt. Man sucht nach Alternativen, die man vielleicht in dem Mineral Olivin findet: "Das Besondere an Olivin ist: Es bindet Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Normalerweise geht dieser Prozess sehr langsam vor sich. Doch er lässt sich beschleunigen, in einem luftdichten Metallbehälter unter Druck und großer Hitze. Aus dem Rohmaterial plus CO2 entsteht so eine Substanz, die später für den Zement gebrannt wird. Bei diesem Vorgang tritt dann zwar Kohlendioxid aus - aber weniger, als zuvor chemisch gebunden wurde. Ein CO2-negativer Zement!" Allerdings noch längst nicht so funktionsfähig wie der klassische Zement! Die andere immer wieder zitierte Aternative heißt Holz, so Raabe.
New Statesman (UK), 02.12.2020
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Radar (Argentinien), 05.12.2020
"Wie sich vier Italiener einmal auf dem internationalen Walter-Benjamin-Kongress 1992 in Osnabrück wegen Maradona in die Haare gerieten", erzählt der argentinische Philosoph Ricardo Forster: "Drei von ihnen waren aus Norditalien - einer aus Mailand, einer aus Turin und der dritte, wenn ich mich recht erinnere, aus Florenz. Der vierte war aus Neapel. Mein argentinischer Kollege Nicolás und ich legten uns mit Verve für Maradona ins Zeug, woraufhin die drei Norditaliener zu unserer ungläubigen Überraschung alle Freundlichkeit ablegten und anfingen, den 'von der Camorra inthronisierten' Maradona wegen seines 'extravaganten Gebarens' mit Worten voller Ressentiment und Rassismus niederzumachen. Der Philosoph aus Neapel stellte sich dagegen wild entschlossen an unsere Seite und sprach von der historischen Gerechtigkeit, die es für die Leute aus dem Mezzogiono darstelle, mit Maradonas Hilfe endlich einmal Juventus Turin und die anderen Mannschaften aus dem Norden vom Thron gestoßen zu haben, die normalerweise den Titel wie auch die Reichtümer des Landes unter sich aufteilten und dem Süden nur die Armut und das Elend ließen. Damit erwies er sich als Einziger auf der Höhe einer benjaminschen Sicht der Geschichte, die die Schwachen, Entwurzelten und sonstigen Plebejer um die Erlösergestalt Maradonas versammelte, den Gott der Neapolitaner, der für Gerechtigkeit sorgte, indem er die heuchlerischen Herren des Geldes und des Fußballs ausdribbelte. Ohne das besänftigende Eingreifen Michael Löwys und Professor Garbers hätte die Sache ein schlimmes Ende genommen."
Respekt (Tschechien), 06.12.2020
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Intercept (USA), 06.12.2020
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Elet es Irodalom (Ungarn), 07.12.2020
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Daily Beast (USA), 05.12.2020
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Lidove noviny (Tschechien), 03.12.2020
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Times Literary Supplement (UK), 04.12.2020
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Magyar Narancs (Ungarn), 12.11.2020
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New York Times (USA), 06.12.2020
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Ligaya Mishan denkt ausführlich über Cancel culture nach: Wo sie älteren Beschämungspraktiken gleicht und wo nicht. Ihrer Ansicht nach ähnelt sie vor allem dem Karneval. Die herrschenden Mächte gewährten den unteren Klassen diese kleine Auszeit, in der sie Dampf ablassen und die da oben verspottet durften, damit alles beim alten blieb. Auch heute zeige sich, dass von der Cancel culture in erster Linie Personen betroffen seien, die in der Öffentlichkeit unbekannt waren. Ein hochrangiger Politiker oder Titan der Wirtschaft konnte noch nie gecancelt werden. "Heute wird so viel gejohlt und gestöhnt, aber scheinbar überall und bei allem, so dass selbst die wertvollsten und dringendsten Ursachen im Geschrei untergehen. Die vielen Subkulturen, deren Klagen die größere, nebulöse Cancel culture beflügeln, neigen dazu, sich an Kleinigkeiten aufzuhängen, was von Versuchen, einen umfassenderen Wandel zu erreichen, ablenken kann. Und dies kann eine absichtliche Ablenkung sein. Jede zwanghafte Suche bei Google nach Beweisen für Fehlverhalten, jeder wütende Post auf Twitter und Facebook, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, lässt die Kassen klingeln in diesen Unternehmen, die Werbetreibende umwerben, indem sie auf die Intensität des Nutzerengagements hinweisen."
Außerdem: Abhrajyoti Chakraborty stellt den führenden Dokumentarfilmer Indiens vor, Anand Patwardhan, der seine Filmdoku "Reason" über den Aufstieg des Hindu-Nationalismus nur im Geheimen zeigen oder verkaufen will.
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