9punkt - Die Debattenrundschau
Hashtag- und Sprachvorschriftsgetöse
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.02.2017. Stephen Bannon hat sich zum ersten Mal seit Trumps Amtsübernahme geäußert und beharrt auf seiner Düsternis, berichtet die Washington Post. Nicht Putin ist schuld an Hillary Clintons Niederlage, sondern Hillary Clinton, meint Keith Gessen im Guardian. Die FAZ ist fassungslos über die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal, die Opfer von Vergewaltigungen lieber als "Erlebende" bezeichnen möchte. Der Berliner Zeitung geht das Feuilleton aus, meldet die taz.
Efeu - Die Kulturrundschau
vom
24.02.2017
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Europa
Auch der Pianist Dengin Ceyhan, der während der Gezi-Proteste bekannt wurde, ist nun im Gefängnis, schreibt Yavuz Baydar in seiner SZ-Kolumne. Wegen einiger Erdogan-kritischer Tweets wird er nun wohl eine gewisse Zeit inhaftiert bleiben, für Baydar Anlass den Niedergang des Istanbuler Stadtvietels um Taksim-Platz und Gezi-Park zu schildern, wo Erdogan-verbündete Oligarchen heute Shopping Malls und Milli Görüs Moscheen bauen: "Genau damit hängt natürlich auch Ceyhans Verhaftung zusammen. Wenn ein Albtraum, bestehend aus Provinzialismus, Fanatismus, selbsterklärter Überlegenheit, kultureller Barbarei und Rücksichtslosigkeit, die Lebenslust und Träume einer ganzen Generation zerstört, ist es nur noch ein kurzer Weg bis zum Faschismus."
Außerdem: In der Jüdischen Allgemeinen erklärt Michael Wuliger, warum gerade die jüdische Leserschaft allen Anlass hat, mit Deniz Yücel solidarisch zu sein.
Außerdem: In der Jüdischen Allgemeinen erklärt Michael Wuliger, warum gerade die jüdische Leserschaft allen Anlass hat, mit Deniz Yücel solidarisch zu sein.
Politik
Philip Rucker hat für die Washington Post Stephen Bannons ersten öffentlichen Auftritt seit Trumps Amtsübernahme verfolgt - er hat sich auf einer konservativen Konferenz geäußert und eine Menge dunkle Sachen gesagt: "'Sie werden weiter kämpfen', sagte Bannon über die Medien und andere widrige Kräfte, die er mehrfach als 'die Oppositionspartei' bezeichnete. 'Wenn Sie glauben, dass die Ihnen Ihr Land kampflos zurückgeben, dann haben Sie sich aufst traurigste getäuscht.' Top-Ziel der Trump-Agenda sei die 'Dekonstruktion des Staates', womit er ein System von Steuern, Regulierungen und Handelspakten meint, das nach Trump und seinen Beratern das Wachstum und einen Teil der Autonomie des Landes beschädigt."
Es gab außer russischer Einflussnahme noch eine Menge anderer Faktoren, die zur Niederlage Hillary Clintons führten, meint n+1-Gründer Keith Gessen in einem langen Guardian-Stück über Theorien der "Putinologie", das am Ende doch nur dahin führt, dass Hillary Clinton selbst schuld ist: "Über Putin nachdenken darf nicht bedeuten, dass man nicht über all das andere nachdenkt, was schief lief und korrigiert werden muss. Diese Ausflucht ist das Wesen der Putinologie, die ihr Heil in der nicht zu leugnenden aber weit entfernten Schlechtigkeit Putins sucht, um nicht die die Fehlstellen in der unmittelbaren Nähe betrachten zu müssen."
Es gab außer russischer Einflussnahme noch eine Menge anderer Faktoren, die zur Niederlage Hillary Clintons führten, meint n+1-Gründer Keith Gessen in einem langen Guardian-Stück über Theorien der "Putinologie", das am Ende doch nur dahin führt, dass Hillary Clinton selbst schuld ist: "Über Putin nachdenken darf nicht bedeuten, dass man nicht über all das andere nachdenkt, was schief lief und korrigiert werden muss. Diese Ausflucht ist das Wesen der Putinologie, die ihr Heil in der nicht zu leugnenden aber weit entfernten Schlechtigkeit Putins sucht, um nicht die die Fehlstellen in der unmittelbaren Nähe betrachten zu müssen."
Geschichte
In der NZZ empfiehlt Marc Tribelhorn die Ausstellung zur russischen Oktoberrevolution "1917 Revolution" im Landesmuseum Zürich: "Als Epilog werden Fragen aufgeworfen, die bis heute virulent bleiben: Weshalb waren gerade westliche Intellektuelle so fasziniert vom Sowjetkommunismus, weshalb besangen sie so unkritisch den Aufbruch in eine neue Ära und blendeten den roten Staatsterror weitgehend aus? Terror, der notabene nicht erst mit dem Gewaltmenschen Stalin einsetzte."
Medien
Beim Berliner Verlag ist der Kahlschlag vollzogen - statt am Alexanderplatz müssen die Redakteure jetzt in einem "Callcenter" in einer unwirtlichen Gegend zwischen Mitte und Kreuzberg schuften. Der Dumont-Verlag hat sich für die Erhaltung der Marge ordentlich ins Zeug gelegt, berichtet Malte Göbel in der taz: "Nach Zahlen von Welt und Meedia wurden den 160 bisherigen Mitarbeiter_innen von Berliner Kurier und Berliner Zeitung 94 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen." Einige Leute wurden neu eingestellt, denn es konnten sich auch Externe auf die freigewordenen Stellen bewerben. Und "die schmerzlichsten Verluste gibt es im Feuilleton. Wie man die Abgänge von Pop-Guru Jens Balzer, Anke Westphal (Film) oder Sabine Vogel (Literatur) kompensieren kann, dürfte die neue Chefredaktion ins Schwitzen bringen. Überregional zu glänzen scheint nicht mehr das Ziel der Berliner Zeitung zu sein."
Gesellschaft
Der Zeit-Magazin-Reporter und erfolgreiche Buchautor Mohamed Amjahid hat eine schwere Bürde zu tragen: Er ist "nicht weiß". Im Gespräch mit Amna Franzke von der taz beharrt er aber auch darauf, dass nicht weiß zu sein, tatsächlich bedeutet, anders zu sein: "Diversity wird als etwas Bedrohliches angesehen. Multikulti hat sich nicht nur in ganz rechten Sphären, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft als Schimpfwort etabliert. Die Leute kommen nicht damit klar, dass andere Lebenswirklichkeiten existieren und dass andere Leute einfach aus andere Perspektiven und Positionen die Welt erleben."
Der FAZ gehen die Exzesse des Gender-Speak, denen die taz so viel Raum gibt, inzwischen über die Hutschnur. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal schlug vor ein paar Tagen in der taz vor, den Begriff "Opfer", etwa bei Vergewaltigungen, durch den Begriff "Erlebende" zu ersetzen. (Auch wenn sie konzediert: "Wer sich als Opfer, Überlebende*r oder Betroffene*r wahrnimmt, hat jedes Recht sich auch so zu beschreiben!") Ursula Scheer sieht das als "beispielhaft für die Irrläufe eines reaktionären, vor allem im Internet heimischen Feminismus.., der sich mit viel Hashtag- und Sprachvorschriftsgetöse als vermeintliche Speerspitze im Kampf um Gleichstellung aller Gender und Identitäten, Ethnien und Klassen geriert, tatsächlich aber Opferverachtung betreibt."
Der FAZ gehen die Exzesse des Gender-Speak, denen die taz so viel Raum gibt, inzwischen über die Hutschnur. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal schlug vor ein paar Tagen in der taz vor, den Begriff "Opfer", etwa bei Vergewaltigungen, durch den Begriff "Erlebende" zu ersetzen. (Auch wenn sie konzediert: "Wer sich als Opfer, Überlebende*r oder Betroffene*r wahrnimmt, hat jedes Recht sich auch so zu beschreiben!") Ursula Scheer sieht das als "beispielhaft für die Irrläufe eines reaktionären, vor allem im Internet heimischen Feminismus.., der sich mit viel Hashtag- und Sprachvorschriftsgetöse als vermeintliche Speerspitze im Kampf um Gleichstellung aller Gender und Identitäten, Ethnien und Klassen geriert, tatsächlich aber Opferverachtung betreibt."
Ideen
In der NZZ betont Cora Stephan, dass in der Politik seit eh und je harte Interessensgegensätze ausgefochten werden. Es komme darauf an, Konflikten eine Form zu geben, nicht sie auszuschalten: "Wer Streit vermeiden will, indem er ausgrenzt, erntet Antagonismus, nicht Frieden", schreibt sie: "Wir werden nicht erleben, dass Volksvertreter in Hoplitenmanier miteinander ringen, doch es wäre viel gewonnen, man lernte von den alten Griechen den Respekt vor dem Gegner, dessen Ansichten andere sein mögen, aber deshalb nicht falsch sind. Es geht nicht darum, Konflikte zu unterdrücken, sondern ihnen einen legitimen Ausdruck zu geben. Doch gerade viele, die von einer konfliktfreien, multikulturellen one world träumen, grenzen alles sie Störende rabiat aus. Mit kindlichen Wutausbrüchen werden unbequeme Menschen und Meinungen bekämpft, die in die Wohlfühlzone einbrechen könnten."
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